A review by corallig
Wir haben noch das ganze Leben by Eshkol Nevo

4.5

"Churchill hatte keine Angst vor Mädchen. Überhaupt hatte er keine Angst vor dem Leben, trat ihm mit entblößter Brust, mit ausholenden Handbewegungen und offenen Schnürsenkeln entgegen, und insgeheim wusste ich, dass ich niemals genau wie er sein würde, glaubte aber, oder wollte glauben, dass nach und nach, allein durch die vielen Stunden, die wir zusammen verbrachten, etwas von seinem Lebenshunger auch an mir hängen bliebe und auch ich aufhörte, Mädchen als marmorne Göttinnen zu betrachten. Dass auch ich mich irgendwann von der Wand lösen und in die Party stürzen könnte."

"Bis Atlit sinnierte ich über diese  Wankelmütigkeit der Gefühle. Und darüber, wie schwer es ist, etwas mit Sicherheit zu wissen.Und darüber, dass fast jeder, der mir nahesteht,  seine Schwierigkeiten damit hat, zu wissen,  was er tatsächlich fühlt, und sich deshalb pausenlos etwas vormacht, was vielleicht generell eine Generationenfrage ist, denn vielleicht bringt die Fülle von Ablenkungsmöglichkeiten und Optionen, die unsere Generation hat, uns so durcheinander, dass wir unseren inneren Pfad verlieren, im Gegensatz zu unseren Eltern, die wussten, was sie wollten, weil sie nicht eben viel Auswahl hatten, doch wer weiß, ob sich hinter all dem bei ihnen nicht ein großes Bedauern verbarg, oder zu mindest das vage Gefühl, etwas versäumt zu haben, etwas, das wir nicht bemerken konnten, weil wir Kinder waren, sie nicht sehen konnten, wie sie wirklich waren (oder doch konnten, aber es vorgezogen haben, zu unserem Wohl, es nicht zu sehen)."

"Siehst du? Ich zügelte den Impuls, aufzustehen und zu gehen, der mich von dem Augenblick an, da ich mich gesetzt hatte, gepackt hielt. Hör auf, so distanziert zu sein. Versuch einmal in deinem Leben, dich rückhaltlos auf etwas einzulassen."

"Ich rief meine Freunde nicht an, weil ich auf eine Art, die sogar mir schwerfällt zu erklären, ein einsamer Mensch bin. Ein einsamer Mensch, der viele Freunde hat. Ein einsamer Mensch, der gelernt hat, sich in der Öffentlichkeit so zu geben, als wäre er gesellig, sich in Momenten des Schmerzes aber immer wieder auf seine Ausgangsposition zurückzieht. Was vielleicht auch eine Lüge ist."