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A review by stefaniefrei
Mit offenen Karten by Agatha Christie

5.0

Ein Favorit, auch wenn ich nur die Hälfte der Bridge-Bezüge verstehe

O: Cards on the Table1936, November. Der 20. Kriminalroman von Agatha Christie und der 13. Roman mit Poirot erschien in Deutschland zuerst 1936 im Talverlag als „Karten auf den Tisch“, übersetzt von Marie Rieger, siehe Wikipedia. 1954 erschien der Roman bei Scherz unter dem heutigen Titel, übersetzt von Hedwig von Wurzian; dieses Buch lese ich hier, noch in alter Rechtschreibung. 2016 erfolgte eine neue Übersetzung für den Atlantik Verlag durch Michael Mundhenk.

Aus einer Begegnung zweier Herren bei einer Ausstellung zu wohltätigen Zwecken entwickelt sich erst ein Disput über Verbrecher, dann eine Einladung: so behauptet Herr Shaitana, an Verbrechen interessiere ihn nur deren Einzigartigkeit. Später will er dieses bei einer von ihm ausgerichteten Dinnerparty beweisen. Doch sein Gesprächspartner bei der Ausstellung war Hercule Poirot – und der findet Mord gar nicht unterhaltsam. Am Ende einer Bridgerunde würde ihm vielleicht auch sein Gastgeber zustimmen – doch der ist tot. Der Täter muss eine der vier Personen am Bridgetisch neben ihm sein. Doch wer?

Nach dem Tod des Gastgebers wird klar: er hat an den zweiten seiner Bridgetische nur Gäste gesetzt, die nach seiner Meinung wohl mit einem Verbrechen davon gekommen sind – jeder hat also etwas zu verlieren. Somit ist die Handlung verschachtelt in die Aufklärung der eigentlichen Tat und in die Ermittlung der früheren Taten. Eine überraschende Aussage macht die Arbeit nicht leichter.

Dieses Mal lässt Agatha Christie ihren Poirot nicht allein ermitteln – vielmehr ist er einer von vier Partnern, die alle beschließen, „mit (den titelgebenden) offenen Karten“ hinsichtlich ihrer Erkenntnisse zu ermitteln. Dazu gehören neben Poirot auch Oberinspektor Battle, Colonel Race vom Geheimdienst und die Kriminalautorin Ariadne Oliver, einer meiner Lieblinge in den Büchern. Sie hat hier ihren ersten Auftritt bei Poirot, vorher erschien sie bereits in der Kurzgeschichte „The Case of the Discontented Soldier“/"Der Fall des unbefriedigten Soldaten", als Sammlung erschienen in „Parker Pyne Investigates“/"Parker Pyne ermittelt"

Endlich kann ich dieses wunderbare Werk so richtig genießen – nach meiner Meinung einer der besten Poirots, dank des leichten Humors, der grandiosen Ariadne Oliver (die einen finnischen Detektiv erschuf statt eines belgischen…Ähnlichkeiten völlig zufällig) und des kunstvollen Aufbaus des Verbrechens. 5 Sterne plus.

Zur Übersicht, die Verdächtigen sind
Mrs. Lorrimer, 63,
Ann Meredith, 25
Major John Despard
Dr. John Roberts.

Trivia:
Die Originalausgabe scheint ein Vorwort zu enthalten https://en.wikipedia.org/wiki/Cards_on_the_Table#Foreword_by_the_author

Achtung: enthält viele Bezüge auf das Kartenspiel Bridge – und Entwarnung: man braucht das eigentlich nicht zu kennen. Ich dachte lange Jahre, ich müsste Bridge können/kennen, um die Handlung final zu verstehen - Poirot analysiert die Spielverläufe). Ich habe also dieses Mal einen Crash-Kurs unternommen, verstehe jetzt grob den Spielverlauf – und die Handlung bekommt KEINEN extra Wissensvorteil. Wenn im Buch steht „Hätten die anderen Herz gespielt, wären wir dreimal gefallen – aber da sie den Treffkönig ausspielten, haben wir es gemacht.“ S. 71 /Kapitel 11. Der Nicht-Bridge-Kundige versteht: wir haben gewonnen, hatten aber Glück. Der Bridgekundige weiß dazu die Taktik…

Wer auch möchte: hier habe ich geübt. Die Seite ist verlinkt unter rtl, dahinter ist ein Spieleanbieter (ohne Abo, ohne Mitgliedschaft, ohne Kosten, ohne Anmeldung, ohne persönliche Daten) https://spiele.rtl.de/arkadium/bridge-17679.html
Ich habe zuerst völlig ahnungslos geübt… dann nachgelesen unter u.a. http://www.bridge-verband.de/static/10minuten (das benötigt wirklich nicht viel mehr als zehn Minuten, vor allem, da die Webseite des Spiels das Zählen übernimmt und regelwidrige Ablagen verhindert). Wie die „Stiche“ funktionieren, habe ich hier verstanden https://de.wikibooks.org/w/index.php?title=Bridge:_Stich&section=24&veaction=edit&oldid=532344&wteswitched=1 … ich würde einen Zeitaufwand von 30 min veranschlagen, um da grob mitzukommen im Buch…

Ariadne Oliver erscheint in mehreren Werken und gilt als lose angelehnt an die Figur Christies – dazu gehört schon einiges an Humor. Sie wird geschildert als Frauenrechtlerin, mittleren Alters, etwas unordentlich und experimentiert gern mit ihren grauen Haaren. Dazu isst sie häufig Äpfel.

• Erstes Erscheinen in der Kurzgeschichte „The Case of the Discontented Soldier“/“Der Fall des unbefriedigten Soldaten“, als Sammlung erschienen in „Parker Pyne Investigates“ (1934) / „Parker Pyne ermittelt“
• “Cards on the Table” (1936) /Karten auf den Tisch. Sic. 13. Roman für Poirot, 3. Für Battle, 2. für Race, erster für Ariadne Oliver.
• Mrs McGinty’s Dead (1952) / “Vier Frauen und ein Mord” (1956) 24. Roman für Poirot, 2. für Ariadne Oliver.
• „Dead Man‘s Folly” (1956) / “Wiedersehen mit Mrs. Oliver” (1959). 27. Roman für Poirot, 3. für Mrs. Oliver.
• „The Pale Horse” (1961)/ “Das fahle Pferd” (1962) Ariadne Oliver ohne Poirot in ihrem 4. Roman.
• „Third Girl“ (1966) / „Die vergessliche Mörderin“ (1968) 30. Roman für Poirot, der 5. für Ariadne Oilver
• Hallowe’en Party (1969)/ „Schneewittchen-Party” (1971). 31. Roman für Poirot, 6. für Ariadne Oliver.
• Elephants Can Remember (1972) / „Elefanten vergessen nicht” (1973), 32. Roman für Poirot, 7. für Ariadne Oliver
• Hercule Poirot and the Greenshore Folly (2014) – diese Novelle wurde erweitert und veröffentlicht als “Dead Man's Folly“

Colonel Race:
1. „The Man in the Brown Suit“ (1924) / „Der Mann im braunen Anzug“ (1963). Erstes Erscheinen, das Buch ist ohne Marple oder Poirot und steh für sich
2. „Cards on the Table“ (1936) / „Mit offenen Karten” (1938). Mit Poirot, Battle, Ariadne Oliver
3. “Death on the Nile” (1937) / “Der Tod auf dem Nil“ (1959). Mit Poirot
4. „Sparkling Cyanide“ (1945) / „Blausäure“ (1949). Standalone.

Superintendent Battle
1. „The Secret of Chimney“ (1925) / „Die Memoiren des Grafen” – 2-Band-Mini-Serie mit Eileen „Bundle“ Brent.
2. „The Seven Dials Mystery“ (1929) / „Der letzte Joker”. Eileen “Bundle“ Brent
3. “Cards on the Table” (1936) /Karten auf den Tisch. Sic. 13. Roman für Poirot, 3. Für Battle, 2. für Race, erster für Ariadne Oliver.
4. „Murder is Easy“ (1939) / „Das Sterben in Wychwood“ (1943)
5. „Towards Zero“ (1944) / „Kurz vor Mitternacht“ (1946)

Referenzen
• Kapitel 2, S. 13. Anne Meredith: „Ich weiß alles über Sie, Monsieur Poirot. Sie waren es, der eigentlich die ABC.-Verbrechen aufgedeckt hat“ (der Punkt steht da so in meiner Ausgabe) -> Eine Referenz zu "The A.B.C. Murders" (1936) / "Die Morde des Herrn ABC" (1937)
• Dieselbe Seite: Poirot zeigt Anne Meredith die Autorin Mrs. Oliver. „Die den Toten in der Bibliothek geschrieben hat?“ … das ist wiederum dann doch ein Buch von Agatha Christie mit Miss Marple, das sie später schrieb und veröffentlichte, "The Body in the Library" (1942) / "Die Tote in der Bibliothek" (1943).
• In Kapitel 8 werden durch Poirot zwei der Werke von Ariadne Oliver erwähnt: „Der Lotusmord“, murmelte Poirot. „Die Spur am Kerzenwachs.“ S. 51 – laut Poirot zwei Varianten des gleichen Plots, da das Opfer ein Verbrechen arrangiert habe, das dann von einem Dritten in die Tat umgesetzt wurde. Dieses Muster verwendete wie hier auch Christie bereits in "Murder on the Links" (1923) / "Mord auf dem Goldplatz" (1927)
• in Kapitel 15 fragt Major Despard, ob Poirot je einen Misserfolg hatte. "Den letzten hatte ich vor achtundzwanzig Jahren", antwortete Poirot würdevoll ..." S. 96, was eventuell eine Anspielung ist auf "The Chocolate Box" (23.05.1923) / "Die Pralinenschachtel" aus "Poirot's Early Cases" () /
• Kapitel 23 enthält einen Spoiler bezüglich eines früheren Buches, Poirot kündigt dort an, Rhoda (der Mitbewohnerin von Anne) etwas zu zeigen: „Ein Messer, Mademoiselle, mit dem einmal ein Mann zwölf Leute erstach. Es wurde mir als Andenken von der Schlafwagengesellschaft gegeben“ S 147 (entweder wurde das hier bewusst oder versehentlich verdreht von Christie geschrieben oder völlig verdreht übersetzt oder, meine Vermutung, bewusst von Poirot die Wahrheit verschleiert). Der Bezug weist auf "Murder on the Orient Express" (1933) / "Mord im Orientexpress" = "Der rote Kimono" (1934)

In "Die Morde des Herrn A.B.C" gibt es einen Verweis auf dieses Buch: In Kapitel 3 jenes Buches erläutert Poirot das für ihn außergewöhnliche Verbrechen: “Stellen Sie sich vor”, murmelte Poirot, “daß sich vier Menschen an einen Tisch setzen, um Bridge zu spielen, und daß sich ein fünfter ruhig beim Kaminfeuer niederläßt. Am Ende des Abends ist dieser fünfte Mann tot. Einer der vier Spieler ist, während er Strohmann war [d.i. ein Bridge-Begriff], hingegangen und hat ihn ermordet, und die drei anderen, im Spiel versunken, haben nichts davon bemerkt.” S. 13 meiner Ausgabe von "Die Morde des Herrn A.B.C.".

Major Despard tritt mit Rhoda wieder in Erscheinung in "Das fahle Pferd". Der Major wird dabei von "John" zu "Hugh". In dem Buch erscheinen ebenso Ariadne Oliver und zwei Personen aus "Die Schattenhand", Maude und Caleb Dane Calthrop.

In "Death on the Nile" wird es einen Rück-Bezug auf dieses Buch geben.

Wikipedia nennt ein Theaterstück zu diesem Roman, allerdings ohne Poirot: Christie konnte sich keinen Schauspieler für ihn vorstellen.