A review by paperlove
Das kleine Buch der Achtsamkeit by Christophe André

2.0

Das Thema Achtsamkeit ist nicht nur in meiner Arbeit als Psychologin, sondern auch in meinem Privatleben ein allgegenwärtiger Begriff, den ich versuche, regelmässig in meinen Alltag einzubauen. Achtsamkeit ist nicht ganz so einfach in ein paar wenigen Worten zu definieren, aber grundsätzlich geht es darum, den Moment im Hier und Jetzt wahrzunehmen, zu akzeptieren und ihn nicht verändern zu wollen. Oftmals geht es vor allem um die bewusste Wahrnehmung eines gegenwärtigen Augenblicks mit all den Sinnen, die uns zur Verfügung stehen.

Da ich Achtsamkeit als eine wichtige Komponente für ein gesunde Psyche ansehe, bin ich immer auf der Suche nach Literatur, die mir das Thema vor allem auf praktischer Ebene näher bringt, die ich dann auch direkt (bei der Arbeit oder privat) umsetzen und anwenden kann. Auf Amazon wird das Buch mit dem Satz "Achtsamkeitsübungen und Inspirationen für jeden Tag" beworben, deshalb bin ich ursprünglich davon ausgegangen, dass mich auch tatsächlich konkrete Übungen erwarten. Leider konnte diese Erwartung nicht erfüllt werden.

Der Autor, Christophe André, ist selbst als Psychiater tätig und will dem Leser das Thema Achtsamkeit in 25 Kapiteln näherbringen. Eine einleitende Erklärung, worum es sich bei Achtsamkeit handelt, sucht man leider vergeblich, was ich etwas ungünstig finde, denn damit wird ein grundlegendes Vorwissen vorausgesetzt.

Die verschiedenen Kapitel sind jeweils alle sehr ähnlich aufgebaut. Der Autor beginnt die Kapitel zu bestimmten Oberthemen jeweils mit konkreten Erfahrungen, die einen in der Du-Form als Leser direkt ansprechen sollen. Mir war allerdings bis zuletzt nicht ganz klar, ob es sich um Erfahrungen des Autors handelt, oder ob mir die sehr detailliert geschilderten Erlebnisse als meine Erfahrungen aufgezwungen werden sollen. Ich fand die Du-Form eher ungeeignet, denn die Erlebnisse waren teilweise so weit von meinen eigenen Erfahrungen entfernt, dass ich mich damit weder identifizieren konnte, noch mich angesprochen gefühlt habe.
Um dies exemplarisch mit einem Beispiel zu untermauern, greife ich das Kapitel zum Thema "Selbstmitgefühl" heraus. Darin berichtet der Autor während zwei Seiten, wie ich mir scheinbar vor einigen Jahren den Arm gebrochen habe und mir deshalb noch Vorwürfe gemacht habe, statt mir selber gegenüber Mitgefühl gezeigt zu haben. Das sind teilweise so starke Annahmen über mein Leben, dass sie bei mir Widerstände ausgelöst haben. Ich habe mir weder jemals den Arm gebrochen, noch wäre ich in einem solchen Augenblick so selbstkritisch und vorwurfsvoll mit mir selbst umgegangen. Nachdem der Erfahrungsbericht beendet ist, folgen einige Beschreibungen zum Thema Selbstmitgefühl, bei dem der Autor immer wieder Zitate von irgendwelchen (mehr oder weniger bekannten) Menschen herausgreift und gleichzeitig das jeweilige Thema auch auf seine Arbeit als Psychotherapeut bezieht. So schreibt er beispielsweise, dass Studien zeigen, dass sich Selbstmitgefühl positiv auf die Symptome depressiver PatientInnen auswirkt. Das mag zwar interessant sein, aber damit endet das Kapitel schliesslich auch. Konkrete Vorschläge, Tipps oder Übungen wie man selbstmitfühlender mit sich sein kann, fehlen leider gänzlich. Und das zieht sich leider durch alle 25 Kapitel (mehr oder weniger) hindurch. Mich haben die Kapitel deshalb immer etwas ratlos zurückgelassen. Gerade bei Themen wie "Entspanne dich" hätte ich mir konkrete Übungsanleitungen gewünscht und nicht allgemeine Hinweise, man solle doch Entspannungsübungen machen. Das war für mich fast jedes Mal so, als würde der Autor die Kapitel immer dann beenden, wenn es um die Umsetzung gegangen wäre. Warum er das so macht, war mir schleierhaft, denn eigentlich wäre die praktische Anwendung ja gerade das gewesen, das einem auf Amazon versprochen wird.

Fazit:
Das Buch konnte leider meine Erwartungen nicht erfüllen. Statt konkrete, praktische Beispiele wie die verschiedenen Konzepte zum Thema Achtsamkeit im Alltag umgesetzt werden können, liest man hauptsächlich erfundene Erfahrungsberichte und viele theoretische Inputs und Studienergebnisse, ohne dass der Autor einem mit Übungsvorschlägen hilft, die ganzen berichteten positive Befunde im eigenen Leben umsetzen zu können. Es handelt sich um eine Sammlung von theoretischem Know-How zum Thema Achtsamkeit. Die versprochenen Übungen sucht man jedoch vergeblich. Da mich das Buch eher enttäuscht zurückgelassen hat, kann ich leider nur 2,5 Sterne vergeben.