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A review by pascalthehoff
Sisi by Karen Duve
challenging
informative
relaxing
medium-paced
- Plot- or character-driven? Character
- Strong character development? No
- Loveable characters? It's complicated
- Diverse cast of characters? No
- Flaws of characters a main focus? Yes
5.0
Mit dem Kult um Sisi konnte man mich immer jagen. Kitschige, romantische Verklärung archaischer Beherrschungsstrukturen, verwurzelt in realer Unterdrückung? Klingt nicht unbedingt nach netter Filmkost – so ikonisch Romy Schneider auch gewesen sein mag.
Ganz anders aber dieser Roman, den mir ein Herr im Buchgeschäft meines Vertrauens völlig unaufgefordert, aber umso begeisterter empfohlen hat. (Und oft sind unaufgeforderte Empfehlungen die besten!) Eine hyperrealistische, historisch fundierte Neuinterpretation des Sisi-Mythos? Ein Roman mit einem Quellenverzeichnis, das länger ist als das so mancher Sachbücher? Now we're talking!
Zu einfach wäre es nun gewesen, Sisi, die ja bekanntlich eine sehr eigenständige Kaiserin war, im Jahr 2022 als frühes feministisches Rollenmodel zu rahmen. Aber so einfach ist es eben nicht. Sisi nutzt ihre privilegierte Position, um puren Hedonismus zu leben. Wenn sie beim Reiten Herrenhosen trägt, dann aus rein pragmatischen Gründen, nie zur Emanzipation. Männer und Frauen sind gleichermaßen im Bann ihrer Schönheit und Sisi weiß das für ihre egozentrischen Interessen zu nutzen. The original girl boss.
Selbst, wenn wir moderne Konzepte wie Intersektionalität ausblenden, zeigt Sisi keinerlei Solidarität mit Frauen als soziale Gruppe – auch, wenn Sisi und Franz vergleichsweise progressiv geherrscht haben. Aber die Messlatte war eben entsprechend niedrig. Und ähnlich wie heute geschehen Zugeständnisse an die niederen Klassen hier oftmals aus Kalkül – als harmlose Kompromisse, die den Pöbel besänftigen.
Eigentlich hat Kaiserin Sisi ohnehin gar keine Lust auf Politik. Sie will viel lieber reiten. Und Besuche bei Queen Victoria oder Konflikte im Balkan erschweren nur ihre Besuche zu barbarischen Jagdveranstaltungen in England, deren Blutrausch der Roman adäquat verherrlicht. Auch die eigene Familie ist zweitrangig. Sisi sucht sich Favoriten und Zöglinge, die sie girlbossen kann, woanders, lässt sie aber auch genau so schnell wieder fallen.
Sisi trägt keinen Funken Empathie in sich, bleibt aber trotzdem eine liebenswürdige Figur für andere Charaktere und Leser*innen gleichermaßen. Dass der Roman so magisch an den Bann zieht, liegt daran, dass die Autorin nicht nur gut recherchieren, sondern noch besser schreiben kann. Die nuancierten Eigenheiten der Kaiserin kommen ebenso gut zur Geltung wie das komplexe soziale Gefüge aus Adelshäusern quer durch Österreich, Ungarn, Deutschland, Italien und England.
Kein Wunder, dass Sisi eines der sehr, sehr wenigen Bücher ist, bei denen sich das gesamte Literarische Quartett im ZDF einig war: Das ist gut! (Lauten Streit gab es natürlich trotzdem darüber, WIE gut es denn nun sei...)
Einzig die unzähligen Reitpassagen habe ich am Ende nur noch überflogen. Aber wenn mich noch ein Buch zum Pferdemädchen verwandeln sollte, so wäre es dieses!
Ganz anders aber dieser Roman, den mir ein Herr im Buchgeschäft meines Vertrauens völlig unaufgefordert, aber umso begeisterter empfohlen hat. (Und oft sind unaufgeforderte Empfehlungen die besten!) Eine hyperrealistische, historisch fundierte Neuinterpretation des Sisi-Mythos? Ein Roman mit einem Quellenverzeichnis, das länger ist als das so mancher Sachbücher? Now we're talking!
Zu einfach wäre es nun gewesen, Sisi, die ja bekanntlich eine sehr eigenständige Kaiserin war, im Jahr 2022 als frühes feministisches Rollenmodel zu rahmen. Aber so einfach ist es eben nicht. Sisi nutzt ihre privilegierte Position, um puren Hedonismus zu leben. Wenn sie beim Reiten Herrenhosen trägt, dann aus rein pragmatischen Gründen, nie zur Emanzipation. Männer und Frauen sind gleichermaßen im Bann ihrer Schönheit und Sisi weiß das für ihre egozentrischen Interessen zu nutzen. The original girl boss.
Selbst, wenn wir moderne Konzepte wie Intersektionalität ausblenden, zeigt Sisi keinerlei Solidarität mit Frauen als soziale Gruppe – auch, wenn Sisi und Franz vergleichsweise progressiv geherrscht haben. Aber die Messlatte war eben entsprechend niedrig. Und ähnlich wie heute geschehen Zugeständnisse an die niederen Klassen hier oftmals aus Kalkül – als harmlose Kompromisse, die den Pöbel besänftigen.
Eigentlich hat Kaiserin Sisi ohnehin gar keine Lust auf Politik. Sie will viel lieber reiten. Und Besuche bei Queen Victoria oder Konflikte im Balkan erschweren nur ihre Besuche zu barbarischen Jagdveranstaltungen in England, deren Blutrausch der Roman adäquat verherrlicht. Auch die eigene Familie ist zweitrangig. Sisi sucht sich Favoriten und Zöglinge, die sie girlbossen kann, woanders, lässt sie aber auch genau so schnell wieder fallen.
Sisi trägt keinen Funken Empathie in sich, bleibt aber trotzdem eine liebenswürdige Figur für andere Charaktere und Leser*innen gleichermaßen. Dass der Roman so magisch an den Bann zieht, liegt daran, dass die Autorin nicht nur gut recherchieren, sondern noch besser schreiben kann. Die nuancierten Eigenheiten der Kaiserin kommen ebenso gut zur Geltung wie das komplexe soziale Gefüge aus Adelshäusern quer durch Österreich, Ungarn, Deutschland, Italien und England.
Kein Wunder, dass Sisi eines der sehr, sehr wenigen Bücher ist, bei denen sich das gesamte Literarische Quartett im ZDF einig war: Das ist gut! (Lauten Streit gab es natürlich trotzdem darüber, WIE gut es denn nun sei...)
Einzig die unzähligen Reitpassagen habe ich am Ende nur noch überflogen. Aber wenn mich noch ein Buch zum Pferdemädchen verwandeln sollte, so wäre es dieses!