glitzermaus 's review for:

GRM: Brainfuck by Sibylle Berg
4.0

„ - was ist los mit dieser Welt. Ist es denn nirgends schön. Oder warm. Gibt es denn nirgends Menschen in geordneten Verhältnissen?”

Grime oder auch GRM ist ein Musikgenre, der vor 20 Jahren in London aufkam und der Sound Gewalt und Hass darstellt, genau, wie die vier Kinder Hannah, Don, Peter und Karen, die sich später in der Geschichte zu Teenager entwickeln, all diese Aggressionen und Wut in sich tragen. Mit den Eltern in der Unterschicht aufgewachsen, erleben sie Gewalt und werden verstoßen. Wegen Mangel an Liebe und Fürsorge flüchten die Protagonist_innen von Rochdale nach London. Doch schnell merken sie, dass sie plötzlich ohne Nichts stehen. Kein Geld, kein Essen, keine Unterkunft. Aber sie haben noch sich und teilen sich die gleichen Sorgen. Immerhin etwas. Um sich an die Despoten zu rächen, beschließen sie eine Liste mit Namen aufzustellen. Damit die Rache auch gelingt, suchen sie sich in London nach einem sicheren Ort und wollen den Staat hacken. Sie greifen zu soziale Medien zu, verwenden die künstliche Intelligenz usw.
Was sie wollen, ist eine Revolution, die zeigt, was der Staat mit ihnen alles macht.

Lange habe ich mich nicht gewagt ein Buch von Sibylle Berg zu lesen, als ich von überall höre, wie Sibylle schreibt oder tickt. Doch GRM war das erste Buch und habe es als toll empfunden. Hier die Gründe:

Sibylle beschreibt eine dystopische Zeit, einem futuristischen Großbritannien nach dem Brexit. Überspitzt stellt Sibylle die Gegenwart dar, obwohl ich denke, dass sie gar nicht so weit entfernt von der Realität ist. Wir haben es nur nicht vor Augen. Die Kapitalismuskritik im Roman, die Sibylle auch oft in den Theaterstücken aufführt, ist berechtigt und hart. Schockierend versucht Sibylle die Analyse der politischen Verhältnisse den Lesenden näher zu bringen. Erstaunlich, wie viel Arbeit und Recherche Sibylle in diesem Roman gesteckt hat. Mit vielen Wissenschaftler_innen, Professor_innen, usw. sprach Sibylle, um die dystopische Welt, die Welt von GRM zu beschreiben und wie ein Blick in die Kristallkugel den Untergang unserer Welt zu zeigen. In GRM stirbt die Hoffnung nicht zuletzt. In GRM gab es nie Hoffnung. Vorerst nicht.

Drogenabhängige Menschen als Müll (=J-Wort) zu bezeichnen, fand ich sehr schwierig und hätte auch nicht sein müssen!
Dass Sibylle viele Themen versucht zu behandeln und doch nur an der Oberfläche kratzt, ist keine Kritik an dem Buch. Denn es ist am Ende nur ein Roman und kein Sachbuch!
Oft war ich tatsächlich sprachlich überfordert, weil so viele Figuren ins Spiel kamen. Es ist chaotisch, wirr, hart, kalt, lustig und ich liebe es! Wer Sibylle Berg nicht kennt und die Interviews auch nie gesehen hat, sollte dies – meiner Meinung nach – spätestens vor einem Buch tun. Sibylle Bergs Humor ist anders wild. Sobald man diese versteht, sind die Texte einfach witzig. Viele würden es zu depressiv, zu kalt, zu zynisch beschreiben. Ich würde sagen Sibylles Texte sind wie Spiegel unserer gescheiterten Gesellschaft. Wer das nicht rafft  #checkyourprivilege

„(…) die Menschen sind nur zufrieden, wenn sie tot sind. Dann ist endlich mal Ruhe. Dann wollen sie nichts mehr.“