A review by imaginary_space
Rotkäppchen und der Hipster-Wolf by Nina MacKay

challenging slow-paced
  • Plot- or character-driven? N/A
  • Strong character development? No
  • Loveable characters? No
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? No

0.5

tldr; 
Ich hatte mich wirklich auf dieses Buch gefreut, jedoch bedient es einige überaltete Tropes, Charakterisierung ist kaum vorhanden, Aktionen und Gefühle nicht nachvollziehbar, alle sind gefühlt 12 Jahre alt, Gespräche werden unnötig in die Länge gezogen und die Protagonistin ist ein "Not Like the Other Girls" Girl, deren Gedanken sich ständig um Männer drehen und generell ein furchtbarer und nerviger Mensch. Den Humor fand ich auch schlimm, aber da das Geschmackssache ist, habe ich dafür keinen Punkt abgezogen.

Ich frage mich, ob das Buch wirklich lektoriert wurde. Ich empfehle dringend, eine Leseprobe zu lesen, bevor ihr euch entscheidet, ob ihr das Buch kaufen wollt. Es hat genügend gute Rezensionen, es gibt also anscheinend eine Zielgruppe dafür. Ich gehöre definitiv nicht dazu. Im Gegenteil hat mich das Buch genervt und teilweise sogar so wütend gemacht, dass ich eine lange Rezension schreibe, anstatt einfach in fünf Sätzen zu erklären, weshalb es nicht mein Fall ist.

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Der Klappentext dieses Buches klang nach einer Geschichte genau nach meinem Geschmack. Ich mag moderne Nacherzählungen von Märchen und war in der Stimmung für etwas Lockeres, Unterhaltsames. Zudem erweckte es den Eindruck, als würde das Buch mit einigen zu oft strapazierten Tropes aufräumen und sie brechen, was ich immer spannend finde.
Ich habe dieses Buch also auf Netgalley angefragt (vielen Dank an der Stelle an den Drachenmond Verlag), weil ich ehrlich davon ausging, ich würde es mögen. Leider wurde ich komplett enttäuscht und hätte ich nicht den Anspruch gehabt, ein Review zu schreiben, hätte ich es nach 30 Seiten abgebrochen.

Im Vorwort warnt uns die Autorin, dass es beim Lesen des Buches in der Öffentlichkeit zu peinlichen Situationen kommen könnte, weil man so oft laut lachen muss. Ein wenig cringe, aber okay. Ich habe das Warnsignal ignoriert.

Die erste Szene holte mich gleich auf den harten Boden der Realität. Unsere Protagonistin findet einen Hipster in ihrem Fangnetz. Wir erfahren, dass die Gute aus absolut nicht nachvollziehbaren Gründen Lachanfälle bekommt und sehr dumme Hipster-Witze macht ("Ich dachte, Hipster wiegen nur ein Instagram!"). Über die lacht dann auch vor allem sie selbst. Lange. Und so herzhaft, dass sie dem Baum mehrere High Fives gibt. Nein, ich weiß auch nicht, warum.

An der Stelle war ich noch nicht desillusioniert, denn vielleicht war der Humor einfach nicht so meins, ist ja Geschmackssache, aber die Story würde sicher gut werden.
Leider erfahren wir in der nächsten Szene, dass Rotkäppchen (oder "Red") total "Not Like the Other Pricesses" ist, weil sie sich um die wirklich wichtigen Dinge Gedanken macht und weil sie schlau ist, während die anderen dumm sind und wahlweise kein Interesse haben, nur über Beauty-Themen nachdenken oder nicht nachvollziehbare Aggressionsprobleme haben. Red fühlt sich eine ganze Szene lang in ihrem inneren Monolog intellektuell überlegen und regt sich ausschließlich über ihre "Freundinnen" auf, sodass man sich schon fragt, warum sie überhaupt Zeit mit ihnen verbringt. Zum Beispiel findet sie es seltsam, dass ihre (angebliche) Freundin aufgewühlt ist über das plötzliche Verschwinden ihres Ehemannes ... ich kann daran nichts Seltsames finden.
Und ich dachte, diese "Ich bin nicht wie die anderen Mädchen, ich bin cool!"-Tropes hätten wir in moderner Literatur längst hinter uns gelassen. Besonders problematisch, da das Buch als "Young Adult" vermarktet wird und ich mir nicht sicher bin, ob das wirklich ein Umgang unter Frauen ist, den Teenager lernen sollten.
Und weil in der Szene noch nicht genügend Mysogynie vorhanden war, wird eine der Prinzessinnen hysterisch und beschuldigt die anderen, ihren Ehemann gestohlen zu haben. Damit auch ja niemand den Bechdel Test besteht.

Die Szene ist auch auf anderen Ebenen symptomatisch für das ganze Buch:

  • Gespräche werden unnötig in die Länge gezogen, indem "witty banter" Schlagabtausch eingefügt wird, der allerdings den gegenteiligen Effekt hat - langweilig und inkohärent. Informationen werden mehrfach wiederholt. Kein Charakter wird konsistent charakterisiert, Dialoge wirken willkürlich zusammen gewürfelt und springen von Thema zu Thema. Es wird über Kleinigkeiten gestritten und Vorwürfe gemacht, von denen man nicht versteht, wo sie herkommen. Charaktere ändern innerhalb eines Gesprächs mehrfach ihre Meinung, nur damit es noch ein wenig länger werden kann - es passiert z.B. oft, dass ein Charakter plötzlich das Thema wechselt und etwas komplett Unwichtiges anspricht, nur um drei Sätze später die Diskussion zu unterbrechen mit der genervten Aufforderung, doch bitte zum Thema zurück zu kommen. Charaktere regen sich ständig darüber auf, dass andere sarkastisch und neunmalklug sind, kurz bevor sie selbst etwas Sarkastisches von sich geben.
  • Der Humor basiert größtenteils auf Beleidigungen, ist allerdings nicht einmal kreativ und auch in den anderen Fällen nicht witzig. Das zweite Element sind möglichst witzige Umschreibungen für alltägliche Gegenstände oder andere Dinge. Auch das funktioniert nicht. Von den Dialogen fange ich gar nicht erst an. Insgesamt ungefähr so bemüht witzig wie schlechte Standup-Comedy.
  • Es gibt keine Untertöne. Jeder Aspekt einer Situation, Entscheidung, Aktion, eines Gesprächs etc. wird ganz deutlich ausformuliert, weil Young Adult Leser:innen offensichtlich zu dumm sind, es ohne Erklärung zu verstehen.

Es gibt keine sympathischen Charaktere in diesem Buch:

  • Die Prinzessinnen nerven, sind komplett inkompetent und machen jede Situation schlimmer oder eskalieren sie gleich.
  • Red fühlt sich ihren Freundinnen intellektuell überlegen, beweist uns allerdings ständig das Gegenteil. Zuerst macht sie sich über eine Freundin lustig, weil diese einen Beauty-Blog führt; später erfahren wir, dass sie ihre kunstvollen Frisuren täglich auf Instagram postet. Sie macht sich die starken Gefühle der Prinzessinnen über das Verschwinden der Prinzen lustig und generell darüber, dass sie Beziehungen führen, sie wird als krass starke Frau vorgestellt; später denkt sie ständig nur noch an den einen oder anderen Mann, ob er sie wohl liebt, dass sie nicht überleben wird, wenn sie nicht geliebt wird usw.
  • Hook ist ganz unterhaltsam, wenn man sich vorstellt, dass er jahrelang hunderte Groschenromane studiert hat, daraus eine umfangreiche Checkliste von Aktionen männlicher Love Interets abgeleitet und dann mit seiner Crew eine Wette abgeschlossen hat, wie schnell er diese Liste abarbeiten kann. Wenn man sich das nicht vorstellt, ist er mysogyn und übergriffig - und das schon vor der großen Enthüllung.
  • Ever nervt wenigstens nicht, was daran liegt, dass er möglichst farblos sein muss, wohl, damit man gut auf ihn projizieren kann. Allerdings wird er später eifersüchtig auf einen 12-jährigen (auch wenn dieser 12-jährige der intelligenteste Charakter im Buch ist).
  • Ich will gar nicht darüber sprechen, welche Botschaft die Hexen, ihre Darstellung und ihre Schicksale senden.
  • Jasmin ist quasi wie die anderen Prinzessinnen, nur mit einer größeren Armee.
  • Die Prinzen sind alle ein Stereotyp.
  • Die Herzkönigin bringt krasse Enthüllungen, von denen alle überrascht sind ... die teilweise seit Beginn des Buches bekannt sind. Auch den Charakteren.

Im Ernst. Niemand in diesem Buch spricht normal miteinander. Alle sind permanent sarkastisch und müssen ganz dringend einen Kommunikationskurs besuchen. Niemand ist daran interessiert, normal über Probleme zu sprechen, um diese vielleicht aufzulösen. Wirklich niemand verfügt auch nur über durchschnittliche Intelligenz.
Das wäre allerdings auch schlecht, denn der Plot des Buches basiert leider darauf, dass alle ständig alles missverstehen. Wenn dumme Charaktere notwendig sind, um die Geschichte zu schreiben, dann sollte man dringend die Geschichte überdenken.

Die Romanze hat mir Schmerzen verursacht. Frau trifft Mann, Mann ist ganz nett, Frau giftet ihn an und leidet im nächsten Satz darunter, dass er sie hasst. Sie interpretiert jeden Satz von ihm als Zeichen dafür, dass er sie hasst, während sie ihn permanent beleidigt und sich über ihn lustig macht. Gleichzeitig mutiert sie in seiner Gegenwart zu einer inkompetenteren Version von Bella Swan, stolpert ständig, verliert Dinge und bekommt generell gar nichts mehr allein hin. Wenn er sich ihr auf einen Meter nähert, bekommt sie einen Herzinfarkt. Leider wird das Trope, dass eine Person plötzlich ganz nah bei einer anderen Person steht, enthusiastisch überstrapaziert, sodass sie beinah einen permanenten Herzinfarkt hat.

Die Protagonistin ist ein ganz furchtbarer Mensch und unheimlich nervig. Man möchte sie permanent schütteln. Sie ist eine starke Frau und intelligenter als die anderen. Später will sie plötzlich von den Jägern unbedingt ernst genommen werden. Sie ist besser als ihre Freundinnen, dann verschwindet ihr Selbstbewusstsein bei dem Gedanken daran, dass sie keine Prinzessin ist und die anderen viel toller als sie. Sie hat eine Wolfsphobie, dann hat sie keine, dann hat sie wieder eine. Sie ist kompetent, dann bekommt sie die einfachsten Dinge nicht hin. Sie ist schlau, dann fällt ihr das Offensichtliche nicht auf. Sie kommt gut allein zurecht, dann kann sie nicht überleben, wenn dieser eine Mann, den sie vo einem Tag getroffen hat, sie nicht liebt. Sie beleidigt ihn, er bittet sie, netter zu sein, sie ist am Boden zerstört, weil er sie für nicht nett hält und weiß gar nicht, wie er darauf kommt. Später ist sie dann häufiger beleidigt und am Boden zerstört, wenn ein Mann sie nicht übergriffig belästigt. Aber sie findet alle anderen regelmäßig furchtbar kindisch und unreif.

Beispiele (keine Story-Spoiler):
Sie packt ein Zelt für zwei Personen ein und wird dann komplett überrascht von dem Gedanken, dass sie ja mit ihm im selben Zeit liegen muss. So überrascht, dass sie den Rest des Wegen über jeden Stein stolpert. Obwohl sie im Wald lebt und Jägerin ist. Als es Zeit ist, das Zelt aufzubauen, schlägt er vor, das Zelt aufzubauen und das bringt sie so aus der Fassung, dass sie direkt wieder über eine Wurzel stolpert. Dann zieht sie sich im Zelt um, aber erst, als sie beide drin sind, denn wie sollte man das auch anders machen. Dabei reißt sie fast das Zelt ein. Mitten in der Nacht schleudert sie ihr Handy in eine der Zeltecken, woraufhin er sie bittet, doch endlich still zu sein. Das lässt sie in Selbstzweifeln darüber vergehen, dass er sie bestimmt total unprinzessinnenhaft findet und nie lieben wird. Ja, es hat mir auch weh getan.
Sie beleidigt ihn die ganze Zeit und macht sich über ihn lustig, doch er nennt sie einmal "Bloggergirl" und sie schlussfolgert daraus, dass er sie hasst und niemals lieben wird.
Er berührt sie, sie schnauzt ihn an, er solle sie loslassen, er lässt sie los, sie ist am Boden zerstört darüber, dass er sie nicht berühren will.
Er fragt sie - als komplett Fremde, die er gerade erst kennen gelernt hat - warum sie seinen kleinen Sohn zu sich ins Bett kriechen lässt und mit ihm kuschelt, während sie ihren Rausch ausschläft, sie wird wütend. Später entscheidet sie, dass es total egal ist, was der Vater darüber denkt, was das Beste für seinen Sohn wäre oder welchen Umgang dieser haben sollte.

So geht das die ganze Zeit über.


Was sonst noch?

  • Entfernungen scheinen beliebig zu sein in dieser Welt.
  • Die Autorin fühlt sich anscheinend wie ein überlegener Mensch, wenn sie Selfie-Sticks als "Deppenzepter" bezeichnet, denn das tut sie gern und oft.
  • Es gibt ganze Kapitel, in denen wir (und die Protagonist:innen) am Ende Informationen erfahren, die wir (und die Progatonist:innen) schon zwei Kapitel vorher erfahren haben.
  • Alle Versuche, künstlich romantische/sexuelle Spannung aufzubauen, scheitern gnadenlos.
  • Bodyshaming.
  • Die Auflösung des Hauptplopts ist ziemlich schnell klar, wird dann allerdings noch unnötig hinausgezögert.
  • Mental Health Shaming.
    Alle Bösen leiden an einer geistigen Störung, die geheilt werden muss.
    Let that sink in.
  • Kaum etwas ergibt Sinn. Kaum eine Konsequenz ist logisch. Die Geschichte folgt keiner inneren Logik und deshalb wirkt sie beliebig zusammen gewürfelt.

Von einem Buch, das sogar den Alkohol aus einer Piratengeschichte streicht, hätte ich deutlich weniger problematische Beziehungsmuster und Freundschaften zwischen Frauen erwartet. Ich fand den Klappentext wirklich interessant und hatte mich darauf gefreut, das Buch zu mögen.