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pascalthehoff 's review for:
Liebes Arschloch
by Virginie Despentes
emotional
reflective
medium-paced
Plot or Character Driven:
Character
Strong character development:
Yes
Loveable characters:
No
Diverse cast of characters:
No
Flaws of characters a main focus:
Yes
Wie die höfliche Anrede im Titel bereits vermuten lässt, ist Liebes Arschloch ein Roman übers Zuhören, sich Öffnen und darüber, sich gegenseitig zu verstehen. Der Briefroman zeigt Gespräche zwischen Fremden, die zu Freunden werden. Die entwaffnende Offenheit als Lösung für tiefe emotionale Probleme zieht sich nicht nur durch die Dialoge der Hauptcharaktere, sondern auch durch die Narcotics-Anonymous-Treffen, die über die gesamte Geschichte eine wichtige Rolle im Hintergrund einnehmen und diese Hauptthemen unterstützen.
Meine erste Frage nach dem Lesen: Wieso gibt es nicht mehr Briefromane? Okay, das hier ist nun ein Online-Briefroman – auch wenn niemand so ausufernd und literarisch am Smartphone tippen würde. Aber gerade um gesellschaftliche Probleme aus verschiedenen polaren Standpunkten zu betrachten, ist der konstante Dialog eines Briefromans ein hervorragender Weg.
In Liebes Arschloch geht es in erster Linie um MeToo, aber eine Ebene tiefer – und vielleicht noch wichtiger – um Diskussions- und Hetzkultur in den sozialen Medien. Die Isolation der COVID-19-Krise verschärfte die gesamtgesellschaftliche Entfremdung und die Radikalisierung im Netz. Ton und Fronten auf Twitter und Co. wurden noch härter – obwohl niemand gedacht hätte, dass es noch schlimmer werden könnte. Bei seiner Beschreibung der Pandemie ist der Roman etwas hyperfixiert auf den „Störfaktor“ Masken. Aber sogar das ergibt unter der Lesart zuspitzender gesellschaftlicher Entfremdung Sinn.
Digitaler Fortschritt wird im Roman auf etliche Weisen als Untergang des Zwischenmenschlichen gezeichnet. Dass dies mehr ist als Boomer-Kulturpessimismus, beweist Liebes Arschloch zwischen den Zeilen fast jeder Seite. Dabei entgeht dem Roman auch nicht die Ironie, dass die gesamte Geschichte in Form von Onlinetexten stattfindet, die den Charakteren letzlich als Rettungsschirm dienen.
Liebes Arschloch zeichnet die realen Konsequenzen ignoranten Verhaltens. Sowohl bezüglich Machtmissbrauchs im Offline-Leben als auch bezüglich der augenscheinlich harmloseren Machtausübung als einflussreiche Online-Persönlichkeit. Der Roman zeigt, welch zwiespältige und weitreichende Auswirkungen selbst rechtschaffender Aktivismus haben kann, wenn er in der unberechenbare Hydra Social Media ein Eigenleben entwickelt.
In einem Internet, dessen Diskussionskultur sich immer mehr durch Kampf statt Dialog definiert, sind die ausufernden „Briefe“ der Hauptfiguren der beste Beweis, wie selbst unvereinbare Positionen Konsens schaffen können.
Meine erste Frage nach dem Lesen: Wieso gibt es nicht mehr Briefromane? Okay, das hier ist nun ein Online-Briefroman – auch wenn niemand so ausufernd und literarisch am Smartphone tippen würde. Aber gerade um gesellschaftliche Probleme aus verschiedenen polaren Standpunkten zu betrachten, ist der konstante Dialog eines Briefromans ein hervorragender Weg.
In Liebes Arschloch geht es in erster Linie um MeToo, aber eine Ebene tiefer – und vielleicht noch wichtiger – um Diskussions- und Hetzkultur in den sozialen Medien. Die Isolation der COVID-19-Krise verschärfte die gesamtgesellschaftliche Entfremdung und die Radikalisierung im Netz. Ton und Fronten auf Twitter und Co. wurden noch härter – obwohl niemand gedacht hätte, dass es noch schlimmer werden könnte. Bei seiner Beschreibung der Pandemie ist der Roman etwas hyperfixiert auf den „Störfaktor“ Masken. Aber sogar das ergibt unter der Lesart zuspitzender gesellschaftlicher Entfremdung Sinn.
Digitaler Fortschritt wird im Roman auf etliche Weisen als Untergang des Zwischenmenschlichen gezeichnet. Dass dies mehr ist als Boomer-Kulturpessimismus, beweist Liebes Arschloch zwischen den Zeilen fast jeder Seite. Dabei entgeht dem Roman auch nicht die Ironie, dass die gesamte Geschichte in Form von Onlinetexten stattfindet, die den Charakteren letzlich als Rettungsschirm dienen.
Liebes Arschloch zeichnet die realen Konsequenzen ignoranten Verhaltens. Sowohl bezüglich Machtmissbrauchs im Offline-Leben als auch bezüglich der augenscheinlich harmloseren Machtausübung als einflussreiche Online-Persönlichkeit. Der Roman zeigt, welch zwiespältige und weitreichende Auswirkungen selbst rechtschaffender Aktivismus haben kann, wenn er in der unberechenbare Hydra Social Media ein Eigenleben entwickelt.
In einem Internet, dessen Diskussionskultur sich immer mehr durch Kampf statt Dialog definiert, sind die ausufernden „Briefe“ der Hauptfiguren der beste Beweis, wie selbst unvereinbare Positionen Konsens schaffen können.