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A review by jonathanelias
Das Leben des Vernon Subutex by Virginie Despentes
5.0
Sound:
- lässig, urban, cool, slangig, Paris, in-the-moment
- scharf/präzise/mit schnellen Strichen charakterisiert
- die unangenehmen/hässlichen Sachen geradeheraus/derb/strunk-esk beschreibend
- Markennamen
- Beispiele
- “Emilie frühstückt Weibermüsli, Zeug, das den Stuhlgang fordert und nach Heu schmeckt, er hat brav ein paar Löffel davon gegessen, aber dann hatte er Angst, dass er davon gleich kacken muss. Gestern war er bei McDo auf dem Klo, […]” (57)
- "Sie ist supersüß, hat viel zu viel Klasse für eine Schauspielerin, mit ihrer Karriere geht es auch nicht so richtig voran, obwohl sie viel hübscher ist und mehr Präsenz hat als die ganzen magersüchtigen Schwanzlutscherinnen am Set." (S67)
- "Jetzt im Monoprix hätte er gern eine Bazooka dabei. Die dicke Blonde da mit ihren fetten Schenkeln in Minishorts, die sich rausputzt, als wäre sie ein Klasseweib, dabei ist sie einfach eine Kuh: eine Kugel in den Kopf. Das Pärchen dort im Kooples-Stil, katholisch und ultrarechts, sie mit Retrobrille und straff nach hinten gekämmten Haaren, er mit Schönlingsfresse und Ohrhörer, der zwischen den Regalen telefoniert, während sie nur superteures Zeug einpacken, beide in cremefarbenem Regenmantel, damit man auch ja sieht, dass sie Rechte sind: eine Kugel in die Fresse. Der dicke Geldsack, der auf den Arsch der Mädchen starrt, während er sein Halalfleisch kauft: eine Kugel in die Schläfe. Die Judenmammi mit ihrer Perücke und den widerlichen Titten, die ihr gleich überm Nabel gewachsen sind, er hasst Weiber, die ihre Titten mitten auf dem Bauch haben: eine Kugel ins Knie. Einfach draufhalten, zusehen, wenn die Überlebenden wie Ratten davonrasen und sich unter den Regalen verkriechen, die ganze Scheißsbande, die hier versammelt ist, um sich den Wanst vollzuschlagen, mit ihrem erbärmlichen Hang zum Lügen, Schummeln, Tricksen, Vordrängeln, Angeben. Alles in die Luft jagen. Aber er ist Vater, er ist ein verheiraterer Mann, er ist ein erwachsener Mann, also hält er das Maul, füllt seinen Wagen und schäumt vor Wut, zu Hause muss er das alles auch noch einräumen, sonst ist MarieAnge sauer, und wieder ein Tag ohne Schreiben. Ihm tut der Kiefer weh, so fest beißt er die Zähne zusammen." (S69)
Themen:
- Die Gesellschaft wird portraitiert, ähnlich wie Faserland will es den Zeitgeist einfangen. Aber Faserland schildert ja nur einen bestimmten Blickwinkel. Dieses Panorama mit den alle zwanzig Seiten wechselnden Vielzahl an Stimmen fühlt sich ja wie ein Kaleidoskop an dagegen.
- Rassismus 63
- Kinder 74
- Ehe 80
Charaktere: sehr schnell lebendig, echt.
- Seine verstorbenen Freunde: machen sein Leben dreidimensional
- S155 Lydia: Social Media süchtig, Kokain, Sex sex sex, Musikjournalistin / Buch schreiben
- Beispiele
- "Sie ist nicht hübsch. Sie ist spröde, ihr Gesicht ist hart, die Lippen sind zu dünn. Sie zieht sich schlecht an. Sie rennt rum wie eine Depressive, die aus der Mülltonne einer alten Frau drei abgetragene Pullis gezogen hat, die sie übereinander zu einer Bundfaltenhose trägt, die über den Knöcheln aufhört. Vernon weiß, dass es ein Reichenlook ist. Er hatte mal so eine Freundin, zart, aber reizvoll. Sie trug Kakikleider, die aussahen, als hätte man sie mit dem Cutter aus einem Sack geschnitten — oder lange braune Westen mit riesigen Knopflöchern. Er, der sie oft nackt sah, wusste, dass sie gut gebaut war. Aber darauf wäre man bestimmt nicht gekommen, wenn man sie angezogen sah. Sie war eine Tochter aus gutem Hause, klassische Tänzerin, sehnig und muskulös, mit brutal deformierten Füßen. Irgendwann hatte Vernon in einem Gespräch mitbekommen, dass sie ein Vermögen für ihre Klamotten ausgab. Sie steckte keineswegs in einer Depression, wie er vermutet hatte, oder war Opfer einer so schlimmen sexuellen Traumatisierung, dass sie beschlossen hätte, ihren Körper zu verstecken, sie schnitt auch keine Fetzen mit der Schere aus einem Vorhang nur für den Spaß, super hässlich auszusehen. Im Gegenteil, das waren teure Klamotten, die sie sorgfältig auswählte, auf die sie stolz war und die sie mit dem Bewusstsein trug, damit echte Le benskunst zu verteidigen. Das ist das Problem! Wenn die Weiber mit anderen Weibern ganz unter sich schwatzen, kommen sie zu Ergebnissen ohne Sinn und Verstand, und ihm soll bloß keiner erzählen, darin liege nıcht ım Grunde eine tiefe Feindschaft gegen die mannlıche Libido." (S76)
Stil
- Im Präsens erzählt: man ist unmittelbar drin
- Verschiedene personale Erzähler
Bewertung
- S100: Phänomenal geschrieben, ein Pageturner. 00:49 spricht für sich ;)
- S198: Daniel trans story, Pam die ex-”porneuse”. Super interessant
- S222: Partyszene, Stream of consciousness des traders. Ich krieg Tränen in den Augen, ist das gut
- S262: noch so ne geile Perspektiverweiterung: Aisha, die gläubige Muslimin, die entdeckt dass ihre Mutter Pornodarstellerin war
- S286: puoa - Gewalt in der Ehe .. krasse Schilderung