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A review by tinido
Madonnensuite: Romantiker-Roman by Gisela Kraft
challenging
funny
reflective
medium-paced
- Plot- or character-driven? Character
- Strong character development? It's complicated
- Loveable characters? It's complicated
- Diverse cast of characters? It's complicated
- Flaws of characters a main focus? Yes
4.0
Das ist der zweite Band von Krafts Novalis-Projekt, man muss aber nicht den Prolog zu Novalis gelesen haben, um Madonnensuite zu verstehen. Aber ohne recht solide kulturhistorische Kenntnisse zur Jenenser Romantik wiederum bleibt das Buch vermutlich in weiten Teile völlig opak. Wir sind an drei Tage dabei, in denen sich die Frühromantiker im Jahr 1799 in Dresden (vor der Sixtinische Madonna) und dann in Jena und Weimar treffen, um wichtige Projekte zu besprechen. Eines der literatur- und philosophische bedeutenden Ereignisse dieses Zusammentreffen, um das auch der mittlere Teil des Romans kreist, ist der Vortrag von Novalis' Die Christenheit oder Europe und die Reaktion Friedrich Wilhelm Schellings darauf. Schelling findet im Roman (historisch korrekt dargestellt) den Text tendenziell anti-revolutionär und als eine Art pietistisch inspirierte Mittelalter- und Papst-Fan Fiction, und verfasst dagegen wortwörtlich zwischen Tür und Besenstiel (und auf dem Klo) einen satirische und obszöne Gegenschrift, das Epikurisch Glaubensbekenntnis Heinz Widerporstens. Im Laufe eines Spaziergangs (auch historisch), bei dem die Gruppe Goethe trifft, wird weiter an der Kontroverse herumdiskutiert. Goethe, der Dienstherr von Schelling und A. W. Schlegel, aber auch ein großer Fan von Schelling, und der Mann, der die Karriere dieser Leute mit ein paar Worten beschleunigen oder vernichten kann, erklärt sich bereit, auch das Glaubensbekenntnis zu lesen (Die Christenheit oder Europa kennt er schon), um den beiden Schlegels, Herausgebern des Athenäums raten zu können, ob man beides abdrucken solle oder lieber nicht. Goethe erklärt sich hier also eigentlich bereit, inoffiziell den Vorzensor zu geben, was im Text nicht explizit gemacht wird. Aber die Sorge, man könne es sich wie Fichte so mit der Goethe und der Obrigkeit verscherzen, dass man entlassen wird, läuft recht deutlich wahrnehmbar immer mit. Fichtes Abgang aus Jena nach Berlin ist auch mehrfach Thema in den Gesprächen.
Im Aufbau orientiert sich Kraft bis zum völligen Mimikry an romantischen Formen: Es gibt sehr wenige erzählerische Passagen im Text, bestimmt deutlich über Dreiviertel des Textes sind Dialoge, Aphorismen und eingestreute, echte Briefstellen. Auch die Texte enthalten Zitate bzw, sind super virtuose Pastiches frühromantischer Schreibweise und Stile. Man weiß nicht immer, wer spricht, wodurch der schöne Effekt erzeugt wird, dass sich da vielleicht für ein paar gloriose Momente ein Kollektivsubjekt gebildet hatte, die neue Lebens- und Denkgemeinschaft. Zumindest erstreben das die Beteiligten, aber es wird auch sehr klar, von wie vielen Seiten (inklusive den eigenen Bequemlich- und Begehrlichkeiten) das ganze Konstrukt bedroht ist – und wie abhängig davon, dass Goethe, eigentlich konservativ, da mehr oder weniger deutlich sein Hand darüber hält. Goethe ist dann auch der innere Dreh- und Angelpunkt, um. den dieses ganze literarische Universum kreist. Der ist ca. 50 Jahre alt, Minister, und spricht sehr viel mehr über Wasserbau-Maßnahmen und über Politik als über Kunst und Literatur. Obwohl der Altersunterschied passen würde, schreibt Kraft Goethe nicht die Rolle einer Vaterfigur zu, stattdessen wird das Machtgefälle zwischen ihm und der Gruppe um Novalis und den Schlegel-Schellings in der Differenz des Sprechens und Agierens spürbar. Die Gruppe versucht durch massive Ironisierung der Figur und Person Goethe in ihren eigenen Gesprächen mit dieser sozialen Tatsache umzugehen, aber durch die Differenz zum Ton und Stil, der im direkten Gespräch mit Goethe angeschlagen wird, wird klar, wie extrem defensiv diese vielgerühmte romantische Ironie eigentlich ist, die in der Germanistik gerne als das besonders (post-)moderne und avantgardistische Element der Frühromantik interpretiert wird. Bei Kraft ist sie die Verteidigungsstellung gegen das Gefühl, dass man in diesem Kipp- und Wendepunkt der Weltgeschichte (Napoleon hat sich gerade an die Macht geputscht) außer intellektueller Deutungsarbeit auf extrem hoher Abstraktionsebene nichts zu bestellen hat, und dass selbst die Produkte dieser Geistesarbeit eigentlich für ein Publikum von einer Person geschrieben sind: Goethe. Und Goethe wird fast alle diese jungen Menschen, die ihm in diesen zwei Tagen in Jena begegnet sind, zum Teil um Jahrzehnte überleben. Nur Schelling, A.W. Schlegel, Tieck und Dorothea Veit-Schlegel sterben später als Goethe. So arbeitet selbst die Zeit gegen die Jenaer Romantik: Noch nicht mal der Tod unterstützt sie dabei, den König zu stürzen. Sie schaffen es weder zu einer wirkungsvollen jakobinischem Aufstand, noch wird jemand von ihnen der Bonaparte der Geisteswelt werden. Dem echten Napoleon Bonaparte wird stattdessen Goethe ein paar Jahre später die Hand schütteln und mit ihm frühstücken, 1808. Da ist Novalis schon sieben Jahre unter der Erde.
Im Aufbau orientiert sich Kraft bis zum völligen Mimikry an romantischen Formen: Es gibt sehr wenige erzählerische Passagen im Text, bestimmt deutlich über Dreiviertel des Textes sind Dialoge, Aphorismen und eingestreute, echte Briefstellen. Auch die Texte enthalten Zitate bzw, sind super virtuose Pastiches frühromantischer Schreibweise und Stile. Man weiß nicht immer, wer spricht, wodurch der schöne Effekt erzeugt wird, dass sich da vielleicht für ein paar gloriose Momente ein Kollektivsubjekt gebildet hatte, die neue Lebens- und Denkgemeinschaft. Zumindest erstreben das die Beteiligten, aber es wird auch sehr klar, von wie vielen Seiten (inklusive den eigenen Bequemlich- und Begehrlichkeiten) das ganze Konstrukt bedroht ist – und wie abhängig davon, dass Goethe, eigentlich konservativ, da mehr oder weniger deutlich sein Hand darüber hält. Goethe ist dann auch der innere Dreh- und Angelpunkt, um. den dieses ganze literarische Universum kreist. Der ist ca. 50 Jahre alt, Minister, und spricht sehr viel mehr über Wasserbau-Maßnahmen und über Politik als über Kunst und Literatur. Obwohl der Altersunterschied passen würde, schreibt Kraft Goethe nicht die Rolle einer Vaterfigur zu, stattdessen wird das Machtgefälle zwischen ihm und der Gruppe um Novalis und den Schlegel-Schellings in der Differenz des Sprechens und Agierens spürbar. Die Gruppe versucht durch massive Ironisierung der Figur und Person Goethe in ihren eigenen Gesprächen mit dieser sozialen Tatsache umzugehen, aber durch die Differenz zum Ton und Stil, der im direkten Gespräch mit Goethe angeschlagen wird, wird klar, wie extrem defensiv diese vielgerühmte romantische Ironie eigentlich ist, die in der Germanistik gerne als das besonders (post-)moderne und avantgardistische Element der Frühromantik interpretiert wird. Bei Kraft ist sie die Verteidigungsstellung gegen das Gefühl, dass man in diesem Kipp- und Wendepunkt der Weltgeschichte (Napoleon hat sich gerade an die Macht geputscht) außer intellektueller Deutungsarbeit auf extrem hoher Abstraktionsebene nichts zu bestellen hat, und dass selbst die Produkte dieser Geistesarbeit eigentlich für ein Publikum von einer Person geschrieben sind: Goethe. Und Goethe wird fast alle diese jungen Menschen, die ihm in diesen zwei Tagen in Jena begegnet sind, zum Teil um Jahrzehnte überleben. Nur Schelling, A.W. Schlegel, Tieck und Dorothea Veit-Schlegel sterben später als Goethe. So arbeitet selbst die Zeit gegen die Jenaer Romantik: Noch nicht mal der Tod unterstützt sie dabei, den König zu stürzen. Sie schaffen es weder zu einer wirkungsvollen jakobinischem Aufstand, noch wird jemand von ihnen der Bonaparte der Geisteswelt werden. Dem echten Napoleon Bonaparte wird stattdessen Goethe ein paar Jahre später die Hand schütteln und mit ihm frühstücken, 1808. Da ist Novalis schon sieben Jahre unter der Erde.