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Der Steppenwolf by Hermann Hesse
5.0

Grundsätzlich finde ich der Steppenwolf von Hesse ein herrliches Buch, das, wie schon tausendmal gesagt, trotz seines Alter erstaunlich aktuell bleibt. Und obwohl es vielleicht eine Vorbemerkung über Selbstmord und eine geringere Dosis ok-für-seine-Zeit Rassismus nutzen könnte, ist es sonst unterhaltsam, philosophisch und voll Symbolik — kein gewöhnlicher Roman. Beim lesen riskiert man einen Depressionrückfall und doch muss man weiter lesen.

Tipp... Ich finde das Buch “Verändere dein Bewusstsein” von Michael Pollan einen guten Begleiter, besonders wenn man selbst keine Erfahrung mit Psychedelika hat.

Als Deutschlernerin finde ich dieses Buch viel zu schwer zu lesen, vor allem wegen des Wortschatz (manchmal altmodisch und oft viel mehr als bei moderneren Büchern), und ich würde es nur empfehlen, wenn du schon mehrere Bücher auf Deutsch gelesen hast und muss nicht nach jedem Absatz zum Wörterbuch greifen.


Lieblingsauszüge:

[...] Und daß dies alles, ebenso wie heute die Anfänge des Radios, den Menschen nur dazu dienen werde, von sich und ihrem Ziele weg zu fliehen und sich mit einem immer dichteren Netz von Zerstreuung und nutzlosem Beschäftigtsein zu umgeben.


Eine Stunde nachdenken, eine Weile in sich gehen und sich fragen, wie weit man selber an der Unordnung und Bosheit in der Welt teil hat und mitschuldig ist — sieh, das will niemand!


Daß eine Frau von meiner Art keine andere Wahl fand, als an einer Schreibmaschine im Dienst eines Geldverdieners ärmlich und sinnlos zu altern, oder einen solchen Geldverdiener um seines Geldes willens zu heiraten, oder aber eine Art von Dirne zu werden, das war ebensowenig richtig, als daß ein Mensch wie du einsam, scheu und verzweifelt nach dem Rassiermeser greifen mußt. [...] Du bist für diese einfache, bequeme, mit so wenigem zufriedene Welt von heute viel zu anspruchsvoll und hungrig, sie speit dich aus, du hast für sie eine Dimension zuviel.


Ach, es ist schwer, diese Gottesspur zu finden inmitten dieses Lebens, das wir führen, inmitten dieser so sehr zufriedenen, so sehr bürgerlichen, so sehr geistlosen Zeit, im Anblick dieser Architekturen, dieser Geschäfte, dieser Politik, dieser Menschen! Wie sollte ich nicht ein Steppenwolf und ruppiger Eremit sein inmitten dieser Welt, von deren Zielen ich keines teile, von deren Freude keine zu mir spricht.
[...] Und was hingegen mir in meinen seltenen Freudenstunden geschieht, was für mich Wonne, Erlebnis, Ekstase und Erhebung ist, das kennt und sucht und liebt die Welt höchstens in Dichtungen, im Leben findet sie es verrückt.


Wer etwa den Faust auf dieser Art betrachtet, für den wird aus Faust, Mephisto, Wagner und allen andern eine Einheit, eine Überperson, und erst in dieser höhern Einheit, nicht in den Einzelfiguren, ist etwas vom wahren Wesen der Seele angedeutet.[...] Der Mensch ist eine aus hundert Schalen bestehende Zwiebel, ein aus viele Fäden bestehendes Gewebe.
[...] Der Mensch ist ja keine feste und dauernde Gestaltung (dies war, trotz entgegengesetzter Ahnungen ihrer Weisen, das Ideal der Antike), er ist vielmehr ein Versuch und Ubergang, er ist nichts andres als die schmale, gefährliche Brücke zwischen Natur und Geist.



[...] so wie ich jetzt mich anziehe und ausgehe, den Professor besuche und mehr oder weniger erlogene Artigkeiten mit ihm austausche, alles ohne es eigentlich zu wollen, so tun und leben und handeln die meisten Menschen Tag für Tag, Stunde um Stunde zwanghaft und ohne es eigentlich zu wollen, machen Besuche, führen Unterhaltungen, sitzen Amts und Bureaustunden ab, alles zwanghaft, mechanisch, ungewollt, alles konnte ebensogut von Maschinen gemacht werden oder unterbleiben; und diese ewig fortlaufende Mechanik ist es, die sie hindert, gleich mir, Kritik am eigenen Leben zu üben, seine Dummheit und Seichtheit, seine scheußlich grinsende Fragwürdigkeit, seine hoffnungslose Trauer und Öde zu erkennen und zu fühlen. Oh, und sie haben recht, unendlich recht, die Menschen, daß sie so leben, daß sie ihre Spielchen spielen und ihren Wichtigkeiten nachlaufen, statt sich gegen die betrübende Mechanik zu wehren und verzweifelt ins Leere zu starren, wie ich entgleister Mensch es tue.



Leute von Ihrer Art steht es durchaus nicht zu, am Radio oder am Leben Kritik zu üben. Lernen Sie lieber erst zuhören! Lernen Sie ernst nehmen, was des Ernstnehmens wert ist, und lachen über das andre!