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A review by tinido
Planet Novalis. by Gisela Kraft
challenging
emotional
reflective
sad
medium-paced
- Plot- or character-driven? Character
- Strong character development? It's complicated
- Loveable characters? Yes
- Diverse cast of characters? No
- Flaws of characters a main focus? It's complicated
4.75
Das ist der letzte Band der Novalis-Trilogie von Gisela Kraft. Die Bände sind so konzipiert, dass man keines der anderen gelesen haben muss, um jeweils das nächste zu lesen. Wenn man sie aber tatsächlich hintereinander liest, ergeben sich zusätzliche Aspekte und man erkennt, wie Motive, Bilder und Formulierungen sich durch die Trilogie ziehen, ausgearbeitet und variiert werden. Wie schon die beiden Vorgänger ist auch Planet Novalis eine Collage aus Originaltexten von Hardenberg / Novalis und seinen Zeitgenoss*innen sowie Texten von Kraft. Nicht alle "Zitate" sind als Zitate ausgezeichnet, Kraft montiert auch innerhalb ihrer Texte Zeilen oder Fragmente aus Novalis' Werk hinein, ohne das besonders auszuweisen – was zu Novalis' eigener Poetik des Symphilosophierens sehr gut passt. Planet Novalis fokussiert sich, bis zum letzten Kapitel, in dem Hardenbergs letzte Stunden auf dem Totenbett sehr eindrücklich aus der Perspektive seines Bruders und aus der Friedrich Schlegels beschrieben werden, die ihn beide pflegen, auf die Perspektive Hardenbergs / Novalis selbst. Der Roman kreist um die Differenz bzw. Spannung zwischen den beiden Personae: Wie existieren der erfolgreich Karriere machende Bergbau-Assesor Hardenberg, der bald heiraten wird, und der Dichterphilosoph Novalis, der sich auf ewig seiner toten geliebten Sophie verpflichtet hat (genauer: der ihr eigentlich Nachsterben wollte) miteinander, und in einem Kontext, in dem sich die beiden nicht so einfach pragmatisch in Realität und "Ideal" trennen lassen. Denn natürlich haben die preussischen und sächsischen Behörden schon ein kritisches Auge auf die Veröffentlichung von Novalis wegen deren als revolutionär verstandenen Inhalte (und sie wissen auch, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt). Eine Spannung die sich im Tod Hardenbergs in gewissen Grade "auflöst" bzw. transformiert wird: in den romantischen Dichter Novalis als idealisierte Erinnerung seiner Freunde. So lässt sich das Leben Hardenbergs in Krafts Darstellung als ein bewusstes Leben zum Tode hin lesen, wie es die romantische germanistische Interpretationstradition von Anfang an getan hat und immer noch gerne tut: Als philosophisches Experiment, als pietistisch-evangelische Lebenskunst, als Proto-Existenzialismus, aber auch als aktive Flucht aus der Realität; für alles findet sich in Novalis/Hardenbergs Texten Belege. Ich neige stattdessen dazu, dass Kraft diese Lesart zumindest komplizieren will: Denn in der extrem eindrücklichen Darstellung von Hardenbergs letzten Tagen spielen philosophische und ästhetische Spekulationen überhaupt keine Rolle mehr. Geschildert werden die konkreten Verrichtungen von Karl Hardenberg, Friedrich Schlegel, den Eltern, den kleineren Geschwistern, von Julie, Hardenbergs Verlobter, und von den Hausangestellten während dieses Sterbens. Das ist kein philosophischer Akt, auch wenn Hardenberg sehr ruhig und friedlich stirbt, – und als langsam verschwindende Seele seine eigene Beerdigung in einer Art Gedicht beschreibt. Was bleibt in der Welt, ist das Loch, das der Tod geschaffen hat, und die Literatur, die versucht, es zu erinnern.
Dass Krafts Novalis-Trilogie im Literaturbetrieb so umfassend vergessen ist, haben wir vermutlich (neben der schieren Masse an Kram, der da einfach jedes Jahr neu in die Buchhandlungen gekippt wird) der Misogynie des Betriebs zu verdanken. Der erkennt eben doch keine herausragenden Leistungen unabhängig von Geschlecht oder Herkunft (Kraft ist aus dem Westen in die DDR übergesiedelt), sondern braucht die externe Apparatur des (männlichen) Genies, des Umfangs (Krafts Trilogie hat zusammen nur ca. 400 Seiten) und des namhaften Verlags, um überhaupt was zu sehen.
Dass Krafts Novalis-Trilogie im Literaturbetrieb so umfassend vergessen ist, haben wir vermutlich (neben der schieren Masse an Kram, der da einfach jedes Jahr neu in die Buchhandlungen gekippt wird) der Misogynie des Betriebs zu verdanken. Der erkennt eben doch keine herausragenden Leistungen unabhängig von Geschlecht oder Herkunft (Kraft ist aus dem Westen in die DDR übergesiedelt), sondern braucht die externe Apparatur des (männlichen) Genies, des Umfangs (Krafts Trilogie hat zusammen nur ca. 400 Seiten) und des namhaften Verlags, um überhaupt was zu sehen.
Graphic: Death
Moderate: Child death, Terminal illness, and Grief