A review by muyelinh
Die New York-Trilogie by Paul Auster

challenging reflective tense slow-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? Yes
  • Loveable characters? No
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? Yes

1.5

Im Idealfall ist der Kriminalroman eine der reinsten und faszinierendsten Formen des Geschichtenerzählens schlechthin. Die Vorstellung, dass jeder Satz wichtig ist, dass jedes Wort von Bedeutung sein kann, treibt den Autor zu Höchstleistungen. Und nur aus diesem Grund hat mich das Genre so interessiert. 

Paul Auster ist kein Kriminalschriftsteller, sondern in jeder Hinsicht ein Romancier im Kontext der postmodernen Literatur. Nur auf den ersten Blick beinhaltet dieser Band, der drei Geschichten zusammenfasst, "klassische, spannungsgeladene Kriminalgeschichte[n]". Stattdessen, so heißt es auf dem Buchrücken, "wird der Beobachter [...] in ein Spiel mit seinen eigenen Erwartungen verstrickt."

Man mag sich fragen, warum ich bis zu diesem Punkt bereits so viel in Zitaten spreche, und die Antwort ist, dass ich auf die Betrachtungsweise anderer zurückgreifen muss, da ich den Inhalt und die damit zusammenhängenden Botschaften dieses Werkes mit meinem konventionellen Blick auf Geschichten nicht hinreichend nachvollziehen kann.
Wie erzählt wird, scheint der Kern zu sein, anstelle eines konsistenten Plots.
Wie wird denn erzählt?
Im Buch selbst wird erwähnt, dass alle drei Geschichten eigentlich die selbe seien, und ich möchte mich deshalb eigentlich auch nicht mit dem Inhalt aufhalten, der sowieso nur als Rahmen zu dienen scheint. Als wiederkehrendes Motiv erscheint die Auseinandersetzung nach jemand anderem, einer Art Phantom, welche die Aufmerksamkeit der Protagonisten vollständig beansprucht und deren Leben umkrempelt. Dieser ganzheitliche Ansatz scheitert aber dahingehend, dass alles, was eine Wendung geben könnte, Zustände ändern würde, entweder gar nicht passiert, oder nicht gezeigt wird. Lediglich Blue in "Schlagschatten" ist ein Detektiv und nur zweitrangig ein Schriftsteller, und dementsprechend verhält sich auch niemand wie ein Detektiv, und die "Bösewichte" entpuppen sich letztendlich als zahnlos, sie wollen niemandem wehtun, und der Absturz der Protagonisten ist diesen selbst zuzuschreiben. Spannung kam nie auf, und fesseln konnte mich das Buch erst recht nicht.

Aber die Sprache !  Nun, abgesehen davon, dass ich sowieso ein Verfechter der These bin, dass eine interessante oder, Gott bewahre, sogar inspirierende Sprache niemals ausreicht, um einen schlecht oder nicht vorhandenen Plot auszugleichen - wohl selten habe ich derart unauthentische und dröge Dialoge gelesen. Kaum ein Satz fühlt sich so an, als könnte er in jedem Wort so gesagt worden sein, und diese Nicht-Sprache hat es kaum einmal versäumt, eine innere Distanz zu schaffen, die mir das Schicksal der Figuren weitgehend egal gemacht hat. Ich schweige am Liebsten auch von den Wort- und Sprachexperimenten, die für manche vielleicht Kunst in der Tradition eines Arno Schmidt, für mich hingegen unlesbar sind.

Unlesbar ist auch das richtige Stichwort für den Umgang mit Löchern in diesem Buch. Ich sage bewusst nicht Frauen, um mich so weit wie möglich der Denkweise der Handlungsträger anzupassen. Peter Quinn stellt sich seine Auftraggeberin, mit der ihn nichts verbindet, umgehend nackt vor. Blue bezeichnet seine Flamme als "zukünftige Mrs. Blue". Der namenlose Ich-Erzähler von "Hinter verschlossenen Türen" schießt den Vogel ab, für ihn sind Träger weiblicher Geschlechtsteile vollständig objektifiziert, und die Schilderungsweise ebensolcher Objekte bemisst sich ausschließlich daran, wie sexuell attraktiv sie sind. Wobei das auch wieder Nebensache ist, denn eigentlich ballert er jede. Sogar die Mutter seines Jugendfreundes (!)
Ich bin weiß Gott kein Hardcorefeminist. In einigen meiner Lieblingsbücher kommen sogar weitaus schlimmere Übergriffe vor. Aber dort spielen diese Szenen einen Teil der Geschichte, sie führen zu etwas hin, lassen die involvierten Frauen an ihrem Schmerz wachsen und als Subjekte große Emotionen ansprechen. Hier führen die Szenen hingegen nirgendwo hin, sie sind reiner Selbstzweck und vollkommen irrelevant.
Wer nach 1950 so schreibt, ist widerlich. Zumal die tiefe Einbindung des Autors in die Geschichte zumindest den Verdacht offen lässt, dass hier einiges nicht nur Fiktion ist.

Kommen wir zum Fazit und zu der Frage: Gibt es einen Sinn hinter der Geschichte? Nach der Lektüre glaube ich zu der Ansicht gelangt zu sein, dass dieses Buch ein Marionettenspiel ist, eine Auseinandersetzung des Autors mit dem Leser, in der Ersterer letztendlich einfach nur ein Spiel spielt. Mein Anhaltspunkt dafür ist, dass Paul Auster offenbar Themen, die ihn selbst bewegen, ohne Bindung und Erklärung in diese Geschichten einflicht, und das sind in erster Linie Debatten aus dem Kosmos eines hochgebildeten Schriftstellers.
Doch dort endet es nicht, Paul Auster tritt sogar selbst als Figur auf, um in einer Weise, die ich als unsäglich prätentiös empfunden habe, den Leser über die Autorenfiktionalität von Cervantes aufzuklären (nur eine von vielen belehrenden Passagen über Literatur, die von Krimis so weit entfernt ist wie Kapstadt von Hammerfest).
Ich komme nicht umhin, zu denken, dass Paul Auster das, was er schreibt, selbst für ziemlich heißen Scheiß hält. Es liegt für mich persönlich eine gewisse Arroganz des Autors darin, vom Leser ein Vorwissen zum Verständnis der eigenen Werke zu verlangen. Es mag dies der Kern der Postmodernen Literaturtheorie sein, doch für mich sollte ein gutes Buch eigenständig funktionieren.

Die "New York-Trilogie" liest sich wie ein literaturstudentischer Solo-Kreiswichs, der die Erkenntnisgewinne "Hinter verschlossenen Türen" des hermetisch abgeriegelten Zimmers des Schriftstellers feiert. Das ist sicher für eine gewisse Bubble das Elixier guter Literatur und hat damit auch definitiv eine Daseinsberechtigung. Was ich aber nicht verstehe, ist, wie so ein Buch es geschafft hat, so eine Massenware zu werden, dass die vorliegende Ausgabe bereits die 25. Neuauflage dieses modernen Klassikers darstellt.