A review by buchdrache
Blade Runner/Ubik/Marsianischer Zeitsturz: 3 Romane in einem Band by Philip K. Dick

3.0

BLADE RUNNER

»Blade Runner« von Philip K. Dick oder eigentlich »Träumen Androiden von elektrischen Schafen?« gehört zu den Klassikern der Science Fiction. Dick befasst sich hier mit einer der essenziellsten Fragen der Menschheit: Was macht uns zu Menschen?

Rick Deckard gehört einer Sondereinheit der Polizei an, die entflohene Androiden jagt und ausschaltet. Sie sind eine Gefahr für die Menschen und drohen sie zu unterwandern, weshalb sie ausgeschaltet werden müssen, wenn sie ihrem Herrn entkommen und sich unter die Menschen mischen. Doch sind sie wirklich eine Bedrohung oder werden sie nur zu einer gemacht? Im Laufe seiner Jagd beginnt Rick sein Weltbild in Frage zu stellen.

Wow. Das beschreibt meine Reaktion auf dieses Buch wohl am besten. Nachdem ich es ausgelesen hatte, musste ich es erst einmal setzen lassen, und auch jetzt, mit ein paar Tagen Abstand, glaube ich nicht, dass ich es voll durchdrungen habe. Die Kernfrage des Romans ist klar: Was macht uns zu Menschen und unterscheidet uns von KIs, die mitunter sogar intelligenter sind als wir? Dick beantwortet die Frage mit Empathie: Es ist die Empathie, die uns zu Menschen macht. Wer aber zum Beispiel Mercer ist, glaube ich noch nicht ganz verstanden zu haben. Vielleicht haben meine Leser eine Antwort?

Der Stil des Romans ist etwas eigenwillig. Hinzu kommt, dass der Roman in den Neunzigern spielt, also quasi eigentlich schon »Geschichte« ist. In den Sechzigern, in denen der Roman entstanden war, waren das sicher aufregende Zukunfsszenarien. Die Aussicht auf einen atomaren Krieg waren in der Zeit allerdings wirklich nicht allzu unrealistisch.

Ich habe mich ehrlich gesagt lange gewundert, warum alle in dem Buch so versessen darauf sind, ein echtes, lebendes Tier halten zu können und warum das anscheinend Zeichen von Prestige ist. Ich denke, das liegt in dem atomaren Krieg begründet, der im Roman bereits Vergangenheit ist. Die Natur ist weitestgehend zerstört, zahlreiche Tierarten sind ausgestorben. Echtes Leben hat hier einen ungemein höheren Stellenwert, sodass Leute selbst von einer kleinen Spinne absolut fasziniert sind.

Nicht jeder aber kann sich ein Tier leisten, weshalb es Firmen gibt, die täuschend echte Robotertiere bauen. Das ist auch der Punkt, an dem ich es etwas schade finde, dass der Verlag sich dazu entschieden hatte, das Buch nach dem Film zu benennen, statt es beim ursprünglichen Titel zu belassen. Er passt wesentlich besser zum Inhalt, da »Blade Runner« hier keine Rolle spielen beziehungsweise diese Bezeichnung für Ricks Berufsgruppe hier einfach nicht existiert. Die Frage, ob auch Roboter träumen können, passt einfach besser zur Grundfrage.

Selbige finde ich übrigens sehr faszinierend. Schon jetzt ist die Frage, wie man mit menschengleicher KI umgeht, für unsere Gesellschaft nicht uninteressant. In »Blade Runner« sind die Androiden organische, wenn auch künstlich erzeugte Wesen. Das, was sie hauptsächlich vom Menschen unterscheidet, ist ihre fehlende Empathie. Aber trotzdem: Sind sie dann nicht auch Menschen? Sie können denken, fühlen, empfinden wie wir und sind selbst von einem Experten mitunter nur schwer von einem Menschen zu unterscheiden.

Ich hatte das Thema schon in meiner letzten Science-Fiction-Rezension zu »Butlers Djihad« erwähnt, wo es ebenfalls eine Rolle spielte, aber leider nicht vertieft wurde. Außerdem erwähnte ich dort auch den Film »Her«, wo der Protagonist sogar eine romantische Beziehung mit seinem Betriebssystem führt. Es wirkt auf mich noch befremdlich, aber ehrlich gesagt tendiere ich schon seit längerem sehr wohl dazu, eine solch intelligente KI als ethisch und moralisch gleichwertig zu betrachten. Die Grenzen zwischen Androide und Mensch verschwimmen in »Blade Runner« zunehmend, sodass sich selbst Rick nicht mehr sicher sein kann, ob er nun Mensch oder Androide ist. Es gibt sogar Androiden, die sich für Menschen halten und nicht wissen, dass sie nicht menschlich sind. Sind sie das wirklich nicht?

»Blade Runner« ist eine nicht unbedingt leichte Kost, aber auf jeden Fall ein Roman, der einen nicht mehr loslässt. Auch lange nach der Lektüre arbeitet das Gelesene noch in einem, während man darüber nachdenkt und vielleicht wie Rick sein Weltbild umkrempelt.



UBIK

Manche Romane mögen brillant sein. Manche mögen inhaltlich brillieren, stilistisch aber da nicht mithalten können. Was »Ubik« von Philip K. Dick ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es mich mehr verwirrt hat, als ich daraus mitnehmen konnte.

Glen Runciter ist tot – nur warum finden sich dann Botschaften von ihm auf Zigarettenpackungen und Dosenetiketten? Es ist das Jahr 1992 – doch wieso ist die Stadt voller Autos aus den Dreißigern? Und was zur Hölle ist UBIK – ein ungewöhnliches Raumspray oder womöglich das einzige Mittel gegen den drohenden Zerfall der Realität?
[Quelle: Klappentext]

Tja, was ist »Ubik« nun? Eigentlich wird der Roman als Science Fiction eingestuft, aber so wirklich passt das nicht. Eher Wirtschaftssthriller, wie sich am Ende herausstellt. Normalerweise sind Fragen in Klappentexten ziemlich ausgelutscht und flach, in diesem Fall geben sie aber sehr gut die Grundstimmung des Buches wieder. Dinge passieren – und so wirklich weiß man lange nicht, warum sie passieren.

Irgendwie hatte es Dick doch geschafft, dass ich dabei bleibe und die Auflösung wissen wollte. Selbige war eher enttäuschend. Kein riesen Kracher, sondern sehr profan. Und was Ubik ist, die Leitfrage, die sich durch den ganzen Roman zieht, wird am Ende zwar erklärt, aber doch sehr nebensächlich und knapp.

Auch mit den Charakteren wurde ich nicht warm. Sie wirkten austauschbar, beliebig, obwohl sie mit Sicherheit kein Typus hätten sein sollen und auch nicht waren. Sie blieben für mich einfach flach und eindimensional.

Die Auflösung wirkt unfertig und unsauber. Als fehle da noch etwas. So ganz koscher wirkt Runciter nämlich nicht beziehungsweise das, was seine Firma macht. Am Ende ist er aber doch der Gute und Ubik kein Teufelswerk. Vielleicht bin ich einfach zu misstrauisch, aber es wirkt doch, als wäre das nicht so einfach, wie Dick es wohl gern hätte.

Nachdem ich den ersten Roman des Sammelbandes so sehr mochte, ist das eine regelrechte Enttäuschung. Vielleicht habe ich die Aussage schlicht nicht verstanden, vielleicht hat der Roman auch einfach keine nennenswerte Aussage oder sie wurde schlecht verpackt. So oder so. Das ist mit Sicherheit nicht das beste Werk des Autors.


MARSIANISCHER ZEITSTURZ

Der letzte Roman der Romansammlung von Philip K. Dick ist »Marsianischer Zeitsturz«. Seine zentrale Frage ist, wann wir unseren Sinnen noch trauen können und wann der Übergang zur Geisteskrankheit erfolgt. Er wird als der verrückteste der Sammlung angesehen, und auch wenn es lange nicht so scheint: Das ist mehr als zutreffend.

Eine Gruppe von Mars-Kolonisten, die sich in psychiatrische Behandlung begibt. Ein kleiner Junge, der vor und zurück durch die Zeit stürzt. Ein Universum, das zunehmend aus den Fugen gerät.
[Quelle: Klappentext]

Der »Marsianische Zeitsturz« beginnt harmlos, indem er das Leben einer Gruppe von Marskolonisten schildert. Exemplarisch wird die Handlung aus der Sicht mehrerer Personen erzählt, die alle ihre Rolle in der Kolonie zu spielen haben. Sehr schön wechselt gerade am Anfang der POV; die Charaktere geben sich sozusagen gegenseitig den Staffelstab in die Hand und es sind fließende Übergänge. Mir gefällt, dass sich die Handlung zunächst auf die Alltagsprobleme einer Kolonie auf dem Mars konzentriert, die Sorgen und Nöte der Kolonisten und ihre Bestrebungen, autark zu leben, aber doch nicht auf alle Annehmlichkeiten von Mutter Erde zu verzichten.

Ganz klammheimlich beginnt das Buch, so richtig verrückt zu werden, als es mehr und mehr um den schizophrenen Jungen Manfred Steiner zu gehen beginnt. Um wirklich zu begreifen, was da besonders am Ende von statten ging, muss man das Buch wahrscheinlich mehrmals lesen. Es war völlig abgedreht! Irgendwie passte das aber auch sehr gut dazu, immerhin ging es sehr stark um Schizophrenie.

Man muss aber auch sagen, dass sich das Buch für seine 360 Seiten doch sehr zieht. Irgendwo am Ende habe ich auch den Faden verloren, als es so richtig abgedreht wurde. Gegen Ende hin hat auch das Lektorat ein wenig geschwächelt.

Ein ziemlich tolles Detail ist, dass die Bücher, obwohl sie keine Reihe bilden, doch zusammenhängen. Die jeweilige Handlung der Romane ist völlig unabhängig voneinander, ein paar Details geben aber den Hinweis. In allen Romanen ist von Marskolonien die Rede, der dritte spielt ja sogar in einer. Im dritten Roman werden in einem Nebensatz die besonderen Fähigkeiten einiger Menschen angesprochen, die im zweiten Roman die zentrale Rolle spielen, und so weiter.

Auch »Marsianischer Zeitsturz« ist ein sehr anspruchsvoller Roman, und auch hier kann es sehr schnell passieren, dass man den Faden verliert, weil es zu abgedreht ist, was Herr Dick hier präsentiert. Ein bisschen bleibt auch die Frage: Was ist hier Fiction und was entspricht den Tatsachen?



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