A review by robert85
In Bedrängnis by Richard Hughes

4.0

»Die Tage von Conrads Taifun sind vorbei; jene Tage, wo Hurrikane den Schiffsverkehr so unerwartet überfielen wie die Katze die Maus. Zum einen wissen die Mäuse heute mehr über die Anatomie der Katze und ihre Bewegungsmuster – und außerdem hat man der Katze ein Glöckchen umgehängt.« (In Bedrängnis, S. 32)

Wie verhält sich der Mensch in Gefahrensituationen, wenn er sich eigentlich sicher gefühlt hat? Dieser Frage nimmt sich der wiederentdeckte und erstmals ins Deutsche übersetzte Roman Richard Hughes’ an. Wir begleiten die Crew der Archimedes, die sich von Virginia auf den Weg nach China macht. Obgleich die Hurrikan-Saison als überstanden gilt, dauert es nicht lange, bis der moderne Dampfer – wie es der Titel schon andeutet – in Bedrängnis gerät.

Doch nicht nur der Glaube, dass das Wetter nach von Menschen erfundenen Regeln spielt, erweist sich als irrig; auch alle anderen Annahmen und Gesetzmäßigkeiten scheinen außer Kraft gesetzt: Der Hurrikan, mit dem sich die Crew konfrontiert sieht, spielt nicht nach den Lehrbuch-Regeln. Die Meteorologie und die Frühwarnsysteme versagen und so wird der riesige Dampfer von den unerwarteten Winden zu einer Nussschale degradiert, die erbarmungslos über den Ozean geweht wird.

Ebenso erweisen sich die Zahlen als Augenwischerei, die so viel Sicherheit suggerieren: Der Schornstein, der einem seitlichen Druck von 100 Tonnen trotzen kann, erweist sich in dem Sturm ebenso fragil wie die Luken, die dem Wasser zwar standhalten, wenn es von außen kommt, aber nicht, wenn sich ein Vakuum bildet und der Druck von der anderen Seite wirkt.

Durch dieses Zusammentreffen mehrerer unglücklicher Umstände sind die Männer, die sonst nach Hierarchien und Einsatzgebieten getrennt operieren, auf sich allein gestellt und müssen eine Einheit bilden. Um zu überleben gilt es, ihr Wissen zu bündeln und an einem Strang zu ziehen. Hughes gelingt es, die zwei Position sprachlich gegenüberzustellen: Von der anfänglichen Euphorie über die Errungenschaften der Technik bis hin zur Ernüchterung.

Die sachlichen Beschreibungen, die der Erzähler dem Leser wie von einem Datenblatt abgelesen durchgibt, vermitteln den Eindruck von Sicherheit. Der Mensch fühlt sich über die Natur erhaben, wirkliche Abenteuer auf See können, so scheint es, kaum noch stattfinden. Die minutiös aufgeführten Eigenschaften der Archimedes legen präzise dar, warum es (theoretisch) zu keinerlei Überraschungen oder Widrigkeiten auf hoher See mehr kommen kann.

Als sich dieser Glaube als Trugbild erweist, wird das Vertrauen in die Technik mit den Wellen weggespült. Die Matrosen, Männer einer säkularisierten Zeit, wenden sich von den Maschinen ab und beginnen in ihrer Hoffnungslosigkeit sogar wieder zu beten, obgleich sie sich kaum mehr an die Worte erinnern.

Geschickt verzahnt Hughes die Gefühle der Crew mit individuellen Hintergründen und Motivationen einzelner Besatzungsmitglieder. Der Leser bekommt auf diese Weise sowohl einen Eindruck für das große Ganze als auch einen Einblick in die Gedankenwelt ausgewählter Protagonisten.

In Bedrängnis ist somit ein äußerst lesenswertes Buch, das – trotz heute antiquiert wirkender technischer Errungenschaften – nicht an Aktualität verloren hat. Mehr denn je fühlen wir uns sicher und unerschütterlich und doch bedarf es nur eines Hurrikans á la Katrina oder eines im Sommer wütenden Waldbrandes, um uns unsere Verletzlichkeit und Ohnmacht der Natur gegenüber vor Augen zu führen.