Scan barcode
A review by jonathanelias
Indigo by Clemens J. Setz
5.0
1.1.24 S83 — gestern angefangen, hat mich sofort gecatched. Much to like, Setz at it's best:
- Idiosynkratisch-kreativ-verschrobene Grundidee der Indigokinder
- Stilistisch extrem abwechslungsreich, verschiedene Textgattungen rotieren durch.
- Starker innerer Dialog von ‘Robert’ (76)
Robert saß auf einer Bank vor der psychiatrischen Klinik des LKH Graz. Es war immer etwas falsch an psychiatrischen Einrichtungen, das heißt im architektonischen Sinn. Entweder waren sie so groß und labyrinthisch wie ein Justizpalast, oder der Architekt hatte die Metapher Krankheit wörtlich genommen und auf die Dachkonstruktion übertragen, oder sie waren einschüchternd in der Art, wie die Türen von selbst aufsprangen, oder sie waren, so wie dieses Gebäude hier, im Wald versteckt. Alle anderen Kliniken erreichte man, indem man von der Endhaltestelle der Straßen- bahnlinie 7 aus über ein paar Treppenstufen nach oben stieg, von da an war alles logisch, sogar die Wegweiser ergaben Sinn. Nicht so die Psychiatrie. Man musste einen dunklen und verwunsche nen Waldweg entlanggehen und stieß auf ein Bauwerk, von dem man sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass in ihm psychisch kranke Menschen wieder gesund wurden. Allein schon der allabendliche Blick aus dem Fenster! Die ganze Nacht unter- hielten sich die Bäume mit rauschenden Gebärden über dich und lasen deine Gedanken. Wenigstens wuchs hier, gleich neben dem Parkplatz, ein schö ner, stiller Baum, der nicht zum Wäldchen zu gehören schien. Wie ein Opernsänger vor dem Chor stand er da, in der unendlich kom- plizierten Verrenkung, die einen Baum ausmacht. Warum sahen Bäume eigentlich so aus? Sie wuchsen doch nach einem einfachen Prinzip, Gerade, teilen, zwei Geraden, teilen, vier Geraden und so weiter, woher kamen diese verrückten Winkel? Möglich, dass Wasseradern, Magnetfelder oder Sonnenlicht eine Rolle spielten. Vielleicht, dachte Robert, war ein Baum auch einfach nur furcht- bar sentimental. Er hatte vor Kurzem mit einigem Abscheu das be- rühmte Bild des Fotografen David Perlmann in einer Kunstzeit- schrift betrachtet, das einen Baum im amerikanischen Bundes- staat Pennsylvania zeigt, der mit seinen Ästen ein weißes Einfami- lienhaus quasi von der Seite her umarmt hatte. Zuerst waren die Zweige durch das immer offen stehende Küchenfenster gewach- sen, dann hatten sie sich an die Südwand des Gebäudes gelegt. schließlich war auch das Dach an die Reihe gekommen. Inner- halb von dreißig Jahren, in denen ein Ehepaar in dem Haus alt […]
4.1.24 - S171
Setz lesen ist einfach wie richtig noblen Rotwein schlürfen. Genieße das so richtig, der Sound, Stil. In diesem Roman ist auch die Handlung, das Setting, die Grundidee faszinierend. Die Figuren scharf und interessant gezeichnet. Großes Kino.