A review by zarahzoe
Kassandra by Christa Wolf

4.0

Die Neuinterpretation von klassischen Material, sei es Ovid, Shakespeare, Austen oder wie hier Vergil, das die gleichen Themen aufwirft, die es schon immer gab - beunruhigend.
Kassandra, verflucht, dass man ihre Vorsehungen nicht glaube, ist einer der Archetypen feministischer Auseinandersetzung: Die Meinung einer Frau, privilegiert oder nicht, zählt wenig, wenn es um die großen Themen geht. Der Konflikt, den Kassandra innerlich austrägt, die Wahrheit zu wissen, die Frage, ob sie sie kundtun soll, und dass ihr ohnehin nicht geglaubt wird, auch das ist eine noch immerwährende Fragestellung, der sich viele FLINTA ausgesetzt sehen. Patriachale Strukturen stellen sich Kassandra, ihrer Mutter, ihrer Schwester Polyxena, der geopferten Tochter des Agamemnon Iphigenie, deren Mutter Klytamnestra und allen anderen Frauen in den Weg. Kassandra ist außerdem "Expertin" - sie hat die gottgegebene Sehergabe. Trotzdem wird ihr nicht geglaubt.
Sei es der Ausgang des Trojanischen Krieges, #metoo-Debatte, Klimakatastrophe oder die Coronapandemie: Irgendwie scheint es das immer zu geben. Gruselig, wenn es keine Gesellschaft gibt, gab oder geben wird, in der diese Probematik nicht besteht.
Weiteres Thema: Solidarität unter Frauen. Schön.
Bisschen irritiert war ich von der Beschreibung von Achilles - Die Art wie er beschrieben wird kommt mir bisschen homofeindlich daher.
Auch sprachlich hat mich die kurze Erzählung beeindruckt.