A review by missbookiverse
Boy Toy by Barry Lyga

4.0

Kurz und knapp
Ein tolles Buch aus der erfrischend authentischen Sicht eines Jungen (inklusive langweiligem Baseballgequatsche). Der Missbrauch (oder die Verführung?) eines kleinen Jungen von seiner Lehrerin ist wahrlich kein leichtes Thema, wird von Barry Lyga in Boy Toy aber sehr gefühlvoll und mit angemessenem Humor präsentiert.

Lang und breit
Boy Toy besticht von vorneherein mit seinem originellen Grundkonzept. Lehrer-Schüler-Beziehungen sind zwar nichts Neues in der Welt der Literatur, aber eine Beziehung zwischen einem 12-jährigen Jungen und einer 24-jährigen Lehrerin zwischen welchen die Art der Beziehung den Großteil des Buches so verworren und verschwommen ist, war mir noch nicht bekannt. Ich fand es unheimlich spannend Kapitel für Kapitel herauszufinden, wie die Beziehung zwischen Josh und Mrs. Sherman beziehungsweise Eve zustande gekommen ist. Wer hat wen verführt oder zu was gezwungen?
Die Handlung wird auf sehr interessante Art präsentiert. Das Buch ist in zwei Erzählstränge untergliedert. Teil 1 spielt in der Gegenwart, in der Josh kurz davor ist die High School zu beenden und Eve aus dem Gefängnis entlassen wird. Teil 2 sind Flashbacks, die erzählen wie die Beziehung zwischen Josh und seiner Lehrerin entstanden ist.

Sehr positiv und erfrischend fand ich, dass Boy Toy aus der Sicht eines Jungen erzählt und von einem Autor geschrieben wurde. Wenn ich das mit Autorinnen vergleiche, die Bücher aus Jungensicht schreiben (z.B. Beautiful Creatures) kommt mir das bei Josh verständlicherweise tausend Mal authentischer vor. Josh denkt gerade in jüngeren Jahren viel an Sex, guckt sich mit seinem besten Freund heimlich Playboys an, kämpft mit ungewollten Erektionen und der Rest seines Lebens besteht aus Videospielen und Sport. Mir kam das auf jeden Fall sehr echt vor.
Josh hat aber noch mehr zu bieten als eine Vorliebe für reife Frauen und Baseball. Er ist ein Zahlengenie und das Tolle ist, dass der Autor das nicht über ihn behauptet sondern dass ich es ganz allein herausfinden konnte. Ständig rechnet Josh nämlich irgendetwas aus oder weiß Zahlen auswendig, die ich schon drei Mal wieder vergessen hätte. Mit dieser Charaktereigenschaft hat er mich ehrlich gesagt ein wenig an Colin aus John Greens An Abundance of Katherines erinnert, obwohl dem ja mehr die Anagramme liegen.

Am Anfang war ich etwas skeptisch, ob ich diese Beziehung zwischen einem kleinen Jungen und einer jungen Lehrerin realistisch finden können würde. Eve betont zwar immer wie reif und seinem Alter voraus Josh ist, aber trotzdem hat mich ein gewisses Unwohlsein nicht verlassen. Gerade das ist aber auch das Spannende an diesem Buch. Mir wurde als Leser nicht deutlich vorgeschrieben, ob Josh belästigt wurde oder sich hat verführen lassen. Barry Lyga beschreibt einfach was passiert ist und wie Josh sich dabei fühlt. Alles andere ist bis zum Ende mir selbst überlassen gewesen und hat mir einiges zum Nachdenken gegeben. Den Schluss fand ich in dieser Hinsicht überraschend, aber auch sehr passend.

Rachel, das Mädchen, das Josh mit 13 Jahren beinahe „vergewaltigt“ hätte und das er seitdem ignoriert, tritt fünf Jahre später plötzlich wieder in sein Leben. Aus Scham ist er ihr bis dahin immer aus dem Weg gegangen, aber nun offenbart sie ihm, dass sie ihn vermisst und wieder mehr Zeit mit ihm verbringen möchte. An sich ist Rachel eine sympathische Figur mit viel Charme und Herz. Leider hat mich ihre Hartnäckigkeit ab und zu an den Rand des Wahnsinns getrieben. Es war einfach nervig wie sehr sie Josh einengt, etwas von ihm fordert, das er ihr offensichtlich nicht geben kann und einfach nicht locker lässt. Im Endeffekt zahlt sich das wohl aus, aber anstrengend fand ich es trotzdem ab und zu.

Habe ich erwähnt, dass Barry Lyga wirklich gut schreibt? Seine Sätze sind präzise, nachvollziehbar und nie langweilig. Außerdem bringt er an den passenden Stellen einen charmanten, „nerdigen“ Humor ins Spiel. Sehr sehr lesenswert.

Der große Minuspunkt des Buches ist der Sportanteil. Josh spielt leidenschaftlich gern und hervorragend Baseball. Dementsprechend musste ich ihn auch zu ein paar Spielen begleiten und noch viel schlimmer, mir absatzweise seine Gedanken zu eben diesem Sport durchlesen. Im Baseball gibt es anscheinend eine Menge Zahlen, die man berechnen kann, irgendeine persönliche Bestzeit oder so, ich weiß nicht, ich habe da nach den ersten paar Malen einfach abgeschaltet und beim nächsten Absatz weitergelesen. Das Ballgequatschte hat Josh aber auf jeden Fall noch jungenhafter gemacht.

Die Unbeantworteten
Wie wird es in drei Jahren mit Josh und Rachel aussehen?
Wird Eve sich nun für immer von Kindern fernhalten können?

Die Kameraden
Ich will mehr von Bary Lyga! In meinem Regal wartet bereits The Astonishing Adventures of Fanboy and Goth Girl auf mich, dazu gibt es noch eine Art Fortsetzung namens Goth Girl Rising.
Außerdem hat der Autor noch Archvillain und Hero-Type geschrieben, letzteres klingt interessant, ersteres scheint sich eher an jüngere Leser zu richten.

Die Optik
Bücher, die von Schüler-Lehrer-Verhältnissen handeln, scheinen den roten Apfel inzwischen als Zwangsymbol anzusehen (Teach Me, A Season of Eden, ach und wenn man Edward als Lehrer sieht, kann man Twilight auch noch mit in den Topf schmeißen). Mich stört das nicht, ich mag rote Äpfel und so schön im Grünen platziert wie auf dem Boy Toy Cover gefallen sie mir erst recht.
Das Hardcover ist vom Aufbau und der Typographie auch ganz schick, allerdings finde ich die Frauensilhouette, die im O steht irgendwie unpassend, was blöd klingt, weil sie ja auf jeden Fall zum Inhalt passt, aber so wie es da steht, sieht sie unangebracht aus und eher wie eine FBI-Agentin.

Boy Toy

Übrigens: Falls jemand das Buch besitzt oder kaufen sollte, würde mich brennend eure Seitennummerierung interessieren. Bei mir sind die ersten paar Seiten nämlich in Zehnerschritten nummeriert, um danach auf einmal ganz normal anzufangen und weiterzugehen. Ich tippe mal auf einen Fehldruck, inhaltlich macht es nämlich keinen Sinn.

Die Zusatzinformationen
Barry Lyga lässt viele seiner Bücher in der gleichen High School in Brookdale spielen. Ich habe ja erst einen seiner Romane gelesen, aber anscheinend tauchen hier und da immer wieder aus anderen Büchern bekannte Charaktere und Orte auf.

Auf Barry Lygas Website kann man zahlreiche geschnittene Szenen aus Boy Toy nachlesen.

Die Doppelgänger
Mal Lust auf Schülerin mit Lehrer? Dann empfehle ich Teach Me von R.A. Nelson, da ist der Altersunterschied der beiden auch nicht so groß.
Wer lieber mehr über Hochbegabte lesen möchte, sollte unbedingt zu John Greens An Abundance Of Katherines (dt. Die erste Liebe (nach 19 vergeblichen Versuchen)) greifen, ebenfalls mit einem männlichen Erzähler und viel Humor.

Teach Me An Abundance of Katherines