A review by lese_laetitia
Der Papierpalast by Miranda Cowley Heller

4.0

4.5

Ich war auf der Suche nach einem Buch, das mich sprachlich begeistern aber nicht zu sehr anstrengen würde, das inhaltlich was zu bieten hat aber nicht zu ernst wird. Ersteres hat "Der Papierpalast" definitiv erfüllt, beim 2. Punkt wurde man als Leser*in vom Klappentext und Vermarktung in die Irre geführt. Ja, es geht in dem Roman um schicksalshafte Sommer und schwere Herzensentscheidungen, das Erwachsenwerden inmitten wunderschöner Natur, aber hier handelt es sich vor allem auch um dysfunktionale Familienstrukturen und sexuellem Missbrauch von Kindern. Dass dieser Punkt an keiner Stelle Erwähnung findet ist grob fahrlässig. Insbesondere da der Missbrauch nicht etwa distanziert erwähnt, sondern auserzählt wird und über lange Zeit Fokus der Handlung ist. Wer selber Opfer von sexualisierter Gewalt war wird hier aus dem nichts mit diesen Darstellungen konfrontiert und auch für Menschen ohne solche Erfahrungen sind diese Kapitel schwer zu lesen. Für die Zukunft würde ich mir offenere Kommunikation mit der Leserschaft wünschen. Diesen Aspekt beinah geheimzuhalten garantiert enttäuschte, retraumatisierte Leser*innen und ich frage mich wofür -  teure Lizenzen durch irreführende Werbung wieder reinzuholen? Den nächsten Sommer-Bestseller pushen?

Abseits dieser Kritik bin ich in die Geschichte rund um Elle, die jeden Sommer mit ihrer Familie im rustikalen Feriendomizil an den Cape Cods verbringt, sehr schnell eingestiegen und habe wie im Rausch die emotionalen Verstrickungen zwischen ihrem alten Kindheitsfreund Jonas und ihrem Ehemann Peter aufgesogen. Die Kapitel ordnen sich auf zwei Zeitebenen, während man in der einen im Jetzt auf die unausweichliche Entscheidung zwischen den beiden Männern zusteuert, erhält man dazwischen Sequenzen aus Kindheit und Jugend, die sich in die Gegenwart vorarbeiten. Die Struktur packt und vereint sich mit der bildreichen Sprache zu einer atmosphärischen und emotionalen Betrachtung eines Lebens, in dem sich alle Entscheidungen, Fehler und Geheimnisse aufeinander aufbauen, scheinbar ohne Ausweg bleibt man passiv dem eigenen Schicksal gegenüber. Der Roman hat sehr viel über das man reden, über das man sich Gedanken machen kann. Ich hab "Der Papierpalast" sehr genossen, wenn auch die explizite Darstellung von sexueller Gewalt sehr viel Raum eingenommen hat. Die Figuren, die Atmosphäre, alles hat wundervoll ineinandergegriffen. Es ist sicherlich keine leichte, blumige Sommerromanze, als die es vermarktet wird, aber eine gehaltvolle Geschichte, die mich noch länger begleiten wird.