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A review by pascalthehoff
Die Tochter by Kim Hye-Jin

5.0

Irritation gleich auf der ersten Seite: Die Ich-Erzählerin spricht von ihrer Tochter? Moment. Dieser Roman ist NICHT wie tausend andere aus der Perspektive der homosexuellen Tochter geschrieben, sondern aus der der erzkonservativen Mutter!? Wild!

Der konstante, transparente innere Monolog der Mutter ist es, was "Die Tochter" von vielen anderen Geschichten abhebt, in denen intolerante Eltern mit der Homosexualität ihrer Kinder kämpfen. Bei so viel Transparenz erfordert auch der Sinneswandel zu allmählicher Toleranz, der im dramaturgischen Bogen solcher Geschichten auf zehn Meilen vorhersehbar ist, viel Fingerspitzengefühl.

Würde sich "Die Tochter" nur auf das Mutter-Tochter-Verhältnis stützen, wer weiß, ob das so gut funktioniert hätte? Der sekundäre Erzählstrang über den Alltag der Mutter als Altenpflegerin jedoch beschreibt eine Arbeit, in deren menschenverachtendem, profitorientiertem Umfeld die konformistisch veranlagte Mutter sich ganz eigenständig auf natürliche Weise in ihrem eigenen Kosmos radikalisiert. Der Steinwurf, dieses Öffnen im Denken auch auf andere innere Konflikte zu übertragen... Nun, auch an dieser Front macht "Die Tochter" es sich nicht ZU einfach.

Genau dieser Wille, nicht unbedingt den einfachsten Weg zu gehen und auf schwarz-weiße Alles-oder-Nichts-Antworten zu verzichten, macht den Roman so hervorragend.

Zum Schluss noch der obligatorische Rant über deutsche Buchtitel: Die Tochter? Wirklich? Soll im Regal wohl besser neben die tausenden deutschen Krimi- und Thriller-Übersetzungen mit Ein-Wort-Titeln passen. Die englische Übersetzung heißt "Concerning my Daughter" und ist damit quasi eine wörtliche Übersetzung des Originaltitels, die auch viel besser zum Inhalt des Romans passt.