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books_nd_cats 's review for:

Piranesi by Susanna Clarke
5.0

Piranesi lebt im Haus. Vielleicht hat er immer hier gelebt. In seinen endlosen Hallen kartiert er Gänge, zählt Statuen, beobachtet die Gezeiten. Alles hält er sorgfältig in Tagebüchern fest. Das Haus ist kühl, oft leer, aber für ihn heilig.
Nur einmal die Woche gibt es Kontakt zu einem Menschen: der Andere – ein Mann, der mit Piranesi nach geheimem Wissen sucht. Doch bald zeigen sich Risse in dieser Ordnung. Spuren von jemandem, der nicht da sein sollte. Hinweise, dass nichts so ist, wie es scheint. Und dass Piranesi selbst Teil eines größeren Rätsels ist.

Susanna Clarke erzählt das mit einer Sprache, die fast dokumentarisch wirkt – präzise, ruhig, aber von leiser Poesie durchzogen.  Keine Action. Keine Erklärungen. Und doch so voller Spannung, dass ich das Buch kaum zur Seite legen konnte.
Das World-Building ist ungewöhnlich und vollkommen eigen: ein endloses Haus mit Sälen voller Statuen, von unten vom Meer überflutet, oben von Wolken durchzogen. Kein klassischer Ort – eher ein Zustand zwischen Traum, Erinnerung und Bedeutung.
Piranesi ist ein Buch für alle, die das Seltsame lieben – und das Sakrale darin. Für Leserinnen und Leser, die sich von magischem Realismus tragen lassen wollen: durch Räume aus Bedeutung, Erinnerung und Wahnsinn. Hier geht es nicht um Weltrettung, sondern um Identität. Um Verlust. Um das, was bleibt, wenn das Bekannte bricht.
Piranesi selbst ist keine klassische Figur. Eher ein Bewusstsein – rein, offen, verletzlich. Ich habe selten jemanden so gemocht beim Lesen.

Piranesi erzählt keine Geschichte im klassischen Sinn – es ließ mich etwas erleben. Langsam, leise, und mit einer Schönheit, die sich erst nach und nach entfaltete.
Man liest es nicht, um zu wissen, was passiert – sondern um zu spüren, was bleibt.