A review by pvulibx
Der Steppenwolf by Hermann Hesse

4.0

"Immer röter glühte der gemalte Mund aus dem erlöschenden Gesicht. So war mein ganzes Leben gewesen, so war mein bißchen Glück und Liebe gewesen wie dieser starre Mund: ein wenig Rot, auf ein Totengesicht gemalt."

Hermann Hesses "Der Steppenwolf" – ein Roman aus dem Jahr 1927, in dem Harry Haller mit dem Lebenmüssen, dem Dazugehören und dem Über-sich-Hinauswachsen kämpft – schien mir in seiner Ausgangssituation zunächst stark den Notizen aus dem Untergrund Dostojewskis zu ähneln. Ich rechnete fest damit, eine ähnliche Abwärtsspirale mitzuerleben, wurde aber positiv überrascht von dem hoffnungsvollen, fast konstruktiven Ton, den der Roman im Verlauf einschlägt.

Harry Haller scheint zu Beginn des Buches am Ende seines Lebens zu stehen. Es wirkt, als gäbe es für ihn keinen Weg hinein – nicht ins Glück, nicht in die Liebe, nicht einmal ins Leid, das die anderen Menschen so ungehemmt empfinden. Er, halb lüsterner Steppenwolf, halb verbitterter Idealmensch, scheint nie gelernt zu haben, wirklich zu leben. Und genau an der Stelle, an der Dostojewskij seine Figuren in ewiger Hoffnungs- und Ausweglosigkeit hätte verharren lassen, nimmt Hesse den Faden auf.

In diesem Buch lernt Harry Haller das Leben – mit all den kleinen, närrischen und scheinbar belanglosen Aspekten, aus denen es sich zusammensetzt. Viel mehr noch: Während Harry all die Kleinigkeiten lernt, die für die meisten von uns selbstverständlich scheinen, werden sie auch dem Leser aufs Neue verdeutlicht. Auch wir schauen in den Spiegel und sehen den Steppenwolf zurückblicken.

"Sind denn Ideale zum Erreichen da? Leben wir denn, wir Menschen, um den Tod abzuschaffen? Nein, wir leben, um ihn zu fürchten und dann wieder zu lieben, und gerade seinetwegen glüht das bißchen Leben manchmal eine Stunde lang so schön"