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cristina_isabel 's review for:

Brief an den Vater by Marcelo Backes, Franz Kafka
4.0

Brief an den Vater zu lesen, fühlt sich etwas verboten an. Ich bezweifle, dass Kafka diesen Brief eigentlich überhaupt jemals jemandem vorlegen vermochte.

Ich glaube, er wünschte dich seinen Kummer auf diesen Seiten von der Seele zu spechen und sich jegliche Schuld abzuweisen - leider vergebens, denn sein Narrativ kann nicht überzeugen :

"So können die Dinge in Wirklichkeit natürlich nciht aneinanderpassen, wie die Beweise in meinem Brief, das Leben ist mehr als ein Geduldspiel; aber mit der Korrektur, die sich durch diesen Einwurf ergibt, einer Korrektur, die ich im einzelnen weder auführen kann noch will, ist meiner Meinung nach doch etwas der Wahrheit so sehr Angenähertes erreicht, dass es uns beide ein wenig beruhigen und Leben und Sterben leichter maachen kann." (S. 63f)


Franz Kafka, Erstgeborer seiner Eltern des hart erarbeiteten Mittelstandes, fühlt sich von seinem Vater dominiert - dies erklärt er uns auf mehreren Seiten. Er beschreibt ihn als tyrannisch, omnipräsenz in den eigenen Lebensentscheidungen und unterdrückend. Beim genaueren Lesen jedoch, fällt auf, dass Kafka genau diese Qualitäten an seinem Vater irgendwie zu bewundern scheint, sie sich sogar für sich selbst wünscht. Er widerspricht sich mehrfach bzg. der Porträtierung des Vaters und der eigenen Überzeugungen. Gegen Ende gibt er sogar zu, dass die Ansichten des Vaters bzg. seiner Person, überwiegend näher an der Wahrheit liegen, als alle andere Aussage die er selbst inne des Briefes tätigt.

Ich würde diese Lektür jedem empfehlen - wundervoll.