A review by missbookiverse
Cryer's Cross by Lisa McMann

3.0

Kurz und knapp
Eine spannende, leicht gruselige Geschichte, die sich durch Lisa McManns knappen, sachlichen Schreibstil streckenweise wie ein Drehbuch liest. Protagonistin Kendall ist keine leicht zugängliche Person, bleibt aber durch ihre Zwangsstörungen eine interessante Figur.
Trotz der geheimnisvollen Geschehnisse, die vor sich gehen, werden auch Romantikfans hier auf ihre Kosten kommen.

[3,5 STERNE]

Lang und breit
An Cryer’s Cross ist mir sofort Lisa McManns typischer Schreibstil aufgefallen. Die Sätze sind relativ kurz, aus der dritten Person im Präsens verfasst und wirken daher ziemlich kalt und hart, oft nüchtern und sachlich. Teilweise habe ich sogar das Gefühl gehabt ein Drehbuch zu lesen. Ich bin mir sicher, dass dieser Stil einige Leser abschreckt, mir gefällt er aber. Er ist anders und gibt mir die Möglichkeit die Geschehnisse distanzierter zu betrachten.

Durch diesen Schreibstil wirkt auch Protagonistin Kendall des Öfteren etwas farblos und langweilig. Kendall leidet an OCD (Obsessive Compulsive Disorder = Zwangsstörungen), einer ihrer Zwänge ist zum Beispiel, dass sie ständig zählen muss. Schritte, Steine, Minuten, ganz egal. Das Zählen beruhigt sie. Auch das macht sie zu einer recht nüchternen Figur und ich habe in keiner Minute die Lust verspürt mich enger mit ihr anzufreunden. Sie spielt gern Fußball, weil ihr die Verausgabung hilft mit ihren Zwängen klarzukommen. Angeblich tanzt Kendall auch gern. Zu Beginn wird einmal beschrieben, dass sie abends ihre reguläre Tanzroutine mithilfe von Lernvideos in ihrem Zimmer vollführt. Außerdem will Kendall nach der HighSchool auf eine Tanzschule. Dieser Aspekt kam mir unnatürlich vor. Das Tanzen hat nicht zu Kendall gepasst und ich konnte einfach nicht die Begeisterung spüren, die Mädchen versprühen, für die Tanzen das Leben ist und die unbedingt auf der Juliard ausgebildet werden möchten.
Viele der anderen Charaktere kamen wärmer und freundlicher rüber als Kendall. Insgesamt hat mich ihr kühles Verhalten aber nicht gestört, es hat einfach zu ihrem Charakter und ihrer Krankheit gepasst.

Kendalls Zwangsstörungen halte ich für einen der spannendsten Aspekte der Geschichte. Ich habe noch nie ein Buch über jemanden mit dieser mentalen Krankheit gelesen und fand es interessant einen kleinen Einblick in das mögliche Leben einer solchen Person zu bekommen.

Zwischen den Kapiteln aus Kendalls Sicht gibt es immer wieder kurze Absätze, die von einem namenlosen „we“ verfasst sind. Neben mysteriösen Sätzen finden sich immer wieder Aufforderungen wie „Toch me. Save my soul“. Es fiel mir Am Anfang schwer diese Einschübe zuzuordnen, aber umso weiter die Geschichte fortschreitet, desto mehr Sinn haben sie ergeben.

Was den Roman aufrechterhält, ist natürlich die Spannung. Erst verschwindet ein junges Mädchen namens Tiffany aus der Kleinstadt, in der Kendall lebt und aufgewachsen ist. Monate später folgt Kendalls bester Freund Nico. Niemand weiß, was mit den beiden geschehen ist und nirgendwo scheint es eine Spur zu geben. Kendall findet natürlich trotzdem eine. Das Pult, an dem Nico in der Schule saß, ist dasselbe, an dem auch Tiffany zuvor gesessen hatte. Als Kendall sich das Pult genauer anschaut, entdeckt sie seltsame Einkerbungen auf der Oberfläche und als sie sich an ihm niederlässt, glaubt sie ein Flüstern zu hören.
SpoilerDurch das Cover kam ich relativ schnell auf die Idee, dass das Pult hinter all dem stecken muss, was ich beim ersten Gedanken daran ziemlich lächerlich und bescheuert fand. Ich meine mal ernsthaft – ein böser, besessener Tisch? Das klingt zu blöd, aber als ich am Ende alle Informationen beisammen hatte, fand ich es gar nicht mehr so unglaubwürdig. Es hat schließlich Sinn gemacht, dass die zerrissenen Seelen sich gerade diesen Gegenstand einverleibt haben.
Die Szene, in der Kendall sich am Ende selbst begräbt, fand ich erschreckend und daher gut beschrieben. Dass ihr OCD sie gerettet hat, fand ich zuerst schwer nachvollziehbar. Alles geschieht so schnell am Ende und ich habe kaum mitbekommen was Kendall dazu bewegt sich frei zu graben. Anscheinend war es das Zählen. Im Gesamtzusammenhang betrachtet macht das Sinn. Schließlich spielen Zahlen im Roman eine große Rolle („Thirty-Five. One hundred.“) und im Verlauf der Geschichte wird immer wieder beschrieben, dass das Zählen Kendall ablenkt und beruhigt.


Eher unerwartet hat mich die Liebesgeschichte erwischt, die sich zwischen Kendall und Jacián entwickelt. Einerseits habe ich sie nicht erwartet, da das Buch eher auf Spannung und ein bisschen Horror baut, andererseits ist das ein Zeichen dafür, dass sie sich ganz natürlich und langsam entwickelt hat. Jacián und Kendall haben Zeit sich kennen zu lernen, die Grenzen des anderen auszutesten und zu erkennen, dass sie möglicherweise mehr füreinander empfinden. Diese sanfte Entwicklung war schön und unaufdringlich.

Die Unbeantworteten
SpoilerEine Verständnisfrage: Die Seelen besetzen über das Pult Nico, richtig? Und dieser will sich dann begraben, aber warum? Ist das die Seele in ihm, die endlich ihre letzte Ruhe finden will?


Die Kameraden
Cryer’s Cross bleibt laut Autorin fortsetzungsfrei. Also werde ich mich demnächst dem letzten Teil der Dream Catcher Trilogie von ihr widmen – definitiv eine Autorin, deren neue Werke (The Unwanteds im Sep 2011 und Dead To You 2012) ich mit Freude erwarte.

Die Optik
Am Cover habe ich nichts auszusetzen. Es passt super zum Inhalt und zur Atmosphäre und auch neben den anderen Werken der Autorin tanzt es nicht aus der Reihe. Dass der Titel in den Tisch geritzt wurde, finde ich perfekt gelöst.

Der Doppelgänger
Wer mehr Lust auf Kleinstadtmysterien hat, dem würde ich Isabel Abedis Whisper empfehlen. Verschlossene Protagonistin, Kleinstadtatmosphäre und viele gefährliche Geheimnisse.