A review by buchdrache
Identitti by Mithu Sanyal

challenging emotional informative inspiring reflective medium-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? Yes
  • Loveable characters? Yes
  • Diverse cast of characters? Yes
  • Flaws of characters a main focus? Yes

4.5

 Wenn race genau wie gender nur konstruiert ist, warum soll es dann bei gender in Ordnung sein, den eigenen Körper hormonell und operativ der Identität anzupassen, bei race aber nicht? Wo ist da der Unterschied? Die Frage hat mich von Anfang an beschäftigt. Eine klare Antwort habe ich noch nicht, aber ich bin fasziniert von dieser Frage. Vielleicht bedarf es auch gar keiner klaren Antwort. Ich habe jedenfalls gelernt, dass es den Begriff transracial gibt, der das beschreibt, was Saraswati lebt. 
 
Bei meiner Suche nach Antworten im Roman bemerkte ich interessiert, wie die Charaktere den Diskurs darum führen. Saraswatis Gegner sind empört. Sie werfen ihr kulturelle Aneignung, Rassismus und blackfacing vor. Saraswati stellt ihnen zahlreiche Argumente entgegen. Während ihre Gegner aber nur Phrasen dreschen, kann Saraswati ihnen ruhig und besonnen (wenn auch hin und wieder etwas populistisch und effekthaschend inszeniert) ganze Vorträge halten, um zu begründen, warum sie tat, was sie tat, und bringt dabei gut fundierte Argumente und zahlreiche Querverweise auf Fachliteratur an. Besonders aufmerken ließ mich eine ganz bestimmte Stelle: 
 
„»Willst du dann als nächstes behaupten, du seist Aborigine, wenn man alles austauschen kann?«, höhnte Oluchis Freund.“ (S. 244) 
 
Als ich das erste Mal davon hörte, dass man anscheinend tatsächlich körperliche Merkmale so verändern kann, dass ein Passing als transracial (cisracial?) möglich ist, war ich verwirrt. Race war für mich bis dahin etwas Inhärentes, etwas, womit man geboren ist und das nicht veränderlich ist. Ich kann nicht plötzlich Schwarz sein, ich bin schließlich weiß
 
Aber dasselbe trifft auch auf gender zu. Ich habe das gender, das ich habe, mir wurde lediglich bei der Geburt ein anderes zugewiesen. Das, was Oluchis Freund hier sagt, ist eins zu eins TERF-Rhetorik, nur auf race statt gender bezogen. Race als Kategorie wurde künstlich erschaffen. Race ist nicht an körperliche Merkmale geknüpft, race hat keine biologische Grundlage, Oppressoren nutzen jedoch körperliche Merkmale, um ihre Theorien zu untermauern. Dasselbe passierte mit der Kategorie gender. 
 
Vielleicht war spätestens das der Moment, der mich umdenken ließ. Sanyal erwähnt im Nachwort zum Roman den Fachtext »trans. Gender and Race in an Age of Unsettled Identities« von Roger Burbaker. Ich kam leider noch nicht dazu hineinzulesen, aber auch dieser Text scheint die Kategorien race und gender in Beziehung zueinander zu setzen. Klingt also nach einer lohnenswerten weiterführenden Lektüre. 

Die vollständige Rezension findet sich auf meinem Blog.

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