A review by isabella_reads
Wenn ich jetzt nicht gehe by Petra Zickmann, María Dueñas

3.0

Meine Meinung

María Dueñas ist hierzulande sicher nicht jedem ein Begriff, in Spanien sind ihre Werke jedoch absolute Bestseller. „Wenn ich jetzt nicht gehe“ war dort 2015 sogar das meistverkaufte Buch. Ich kannte die Autorin vorher nicht, habe mich aber nichtsdestotrotz sehr gefreut, als ich ihren neuesten Roman bei einem Adventskalender-Gewinnspiel ergattert habe.

Die Geschichte spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und hat gleich mehrere fantastische Settings zu bieten. Ich fand es sehr spannend, mehr darüber zu erfahren, wie die Menschen in Mexiko, auf Kuba und in Spanien zu dieser Zeit gelebt haben. Die Schauplätze sind wunderbar anschaulich beschrieben, sodass man mit allen Sinnen in die Epoche eintauchen kann. Insgesamt hat mir der Schreibstil gut gefallen. Der Text liest sich schön leicht und flüssig, sodass ich den Roman trotz der beachtlichen Seitenzahl doch recht schnell beendet habe. Das lag sicher auch an den relativ kurzen Kapiteln, die für den klassischen „Nur noch eins“-Effekt gesorgt haben. Die Autorin schreibt lebendig und bildhaft, ohne krampfhaft poetisch wirken zu wollen. Positiv sind mir auch die einprägsamen Figurenbeschreibungen aufgefallen. Ich hatte immer sofort ein Bild der Person vor Augen. Außerdem finde ich es sehr angenehm, wenn Autoren mehr als einmal etwas zum Äußeren der Figuren sagen, weil ich leider ein Mensch bin, der sich solche Feinheiten nicht länger als ein Kapitel merken kann.

Protagonist Mauro war mir auf Anhieb sympathisch. Er ist bzw. war wohlhabend, hinter der Fassade des makellos gekleideten Geschäftsmanns verbirgt sich jedoch immer noch der mit allen Wassern gewaschene Minenarbeiter, der er einmal war. Gerade diese zwei Seiten seiner Persönlichkeit sind es, die die Figur so interessant machen. Mauro hat perfekte Umgangsformen, wenn nötig ist er aber auch jederzeit bereit, unter freiem Himmel auf dem Erdboden zu schlafen. Das innige Verhältnis zu seinen Kindern hat ebenfalls dazu beigetragen, dass ich ihn schnell ins Herz geschlossen habe.

Mir ist es sehr schwer gefallen, diesen Roman zu bewerten, weil mir die erste Hälfte wesentlich mehr zugesagt hat als die zweite, die in Spanien spielt. Ich fand es unheimlich fesselnd, zu lesen wie Mauro sich mit Müh und Not in der Karibik durchschlägt, nachdem ihm sein Vermögen zwischen den Fingern zerronnen ist. Dieser erste Teil bietet alles, was ich mir von der Story erhofft hatte: Spannung, Intrigen, atmosphärische Beschreibungen und große Gefühle. Zudem ist es von der Autorin geschickt gemacht, wie nach und nach immer mehr Details über Mauros Vergangenheit enthüllt werden. Sobald er in Spanien ankommt, baut die Geschichte jedoch stark ab. Dueñas verzettelt sich in zu vielen Handlungssträngen und die Story wird immer chaotischer und unglaubwürdiger. Dafür werden interessante Ansätze der ersten Hälfte, z.B. Mauros Feindschaft mit einem ehemaligen Gönner oder die unzertrennliche Männerfreundschaft mit seinem Prokuristen, mehr oder weniger fallengelassen.

Dazu kommt, dass mir Mauros große Liebe Soledad, die er in Spanien trifft, atemberaubend unsympathisch war. So sehr, dass ich gegen Ende im Grunde ihre und damit auch Mauros Widersacher angefeuert habe. Im Klappentext wird Sol als „schön, klug und unberechenbar“ beschrieben, meiner Meinung nach trifft es skrupellos, grausam und egoistisch jedoch wesentlich besser. Sie, und unter ihrem Einfluss zunehmend auch Mauro, gehen absolut rücksichtslos mit ihren Mitmenschen um, ohne dass dafür überzeugende Begründungen geliefert werden.

Fazit

Die Handlung von „Wenn ich jetzt nicht gehe“ fängt stark an, baut dann aber leider stark ab. Das ist besonders schade, weil mit großartigen Settings, einem angenehmen Schreibstil und dem sympathischen Protagonisten eigentlich beste Voraussetzungen für ein Lesehighlight vorhanden gewesen wären.