A review by nxssistr
V is for Virgin by Kelly Oram

challenging emotional funny reflective relaxing tense fast-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? Yes
  • Loveable characters? It's complicated
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? Yes

4.5

Es gibt kaum einen New Adult Liebesroman von dem ich gehört habe, der so kontrovers besprochen und oft regelrecht zerrissen wurde wie dieser.  Ich habe ihn jahrelang aus genau diesem Grund nicht zur Hand genommen, obwohl die Autorin eine meiner Lieblingsreihen aus meiner Teenagerzeit geschrieben hat.
So hatte ich jetzt die Möglichkeit der Geschichte eine aufrichtige Chance zu geben.

Ich bin Fan von Kelly Oram. Ihre Klappentexte bringen mich meistens dazu, meine Stirn zu runzeln, aber das, was dann zwischen den Buchdeckeln steckt, überzeugt mich. Sie schreibt Figuren, die nicht überzeichnet sind und zugleich total menschlich und charakterstark auftreten. Viele von ihnen werden mit ihren eigenen Fehlern konfrontiert, ohne dass ihnen eine Entwicklung verwehrt bleibt. Und seien sie  zu Beginn noch so unsympathisch. Manchmal strengt mich Lesen an, doch diese Bücher ziehen mich genau damit in ihren Bann, sodass ich mich zu keinem Zeitpunkt zum Lesen zwingen muss, sondern immer erfahren möchte, wie es weitergeht.

Von Liebesromanen allgemein hatte ich mich in den letzten Jahren ziemlich entfernt. Sie beinhalten oft normative und sexistische Beziehungsbilder und romantisieren toxische Geschlechterrollen. Oft habe ich das Gefühl von Charaktertypen zu lesen, statt von Individuen.

“V is for Virgin” hingegen ist kontrovers, handelt von realistischem Aktivismus, der Komplexität von Freundschaft und Arbeit an Beziehungen sowie der eigenen Wertetreue. Die Dialoge verschwimmen zu echten Stimmen sodass ich das Buch in meiner Hand vergessen habe und ganz eintauchen konnte.

Ich habe Rezensionen gesehen und gelesen, die zu persönlichen Angriffen wurden und ich frage mich, wie man dieses Buch als derartigen Angriff verstehen kann. Die Abscheu und die Rants zeigen wie tabuisiert Abstinenz  und Jungfräulichkeit sind. Es gibt nicht den einen Love Interest und das Buch ist in meinen Augen auch nicht als reine Romanze zu lesen.
Der Roman wird zwar als unterhaltsam-romantisch vermarktet, doch allein der Titel macht auf die Thematik an sich aufmerksam. Warum liest man etwas, wenn man kein Interesse an dem Grundthema hat und entwürdigt genau jenes Thema oder macht es lächerlich?
Ja, in diesem Buch geht es um Abstinenz und Jungfräulichkeit. Es widmet sich den Scheuklappen und versucht Empathie zu erzeugen gegenüber Menschen, die nicht sexuell aktiv sind.

Das bedeutet nicht, dass ich alles unterschreibe, was das Buch impliziert. Auch ich habe Kritikpunkte: Zum einen wäre es schön, ein wenig mehr Diversität in Kelly Orams Büchern zu bekommen. Sie zeigt zwar stereotypisierte Familienmodelle in vorurteilsfreien Darstellungen, doch tauchen marginalisierte Bevölkerungsgruppen in speziell diesem Buch kaum auf. Ich hätte gerne gesehen, dass zumindest kurz auch Asexualität aufgegriffen wird, wenn es um Beziehungen ohne sexuelle Handlungen geht.

Weiterhin möchte ich kritisieren, dass sexuelle und verbale Übergriffigkeit und Slut Shaming in diesem Buch auftauchen und ungenügend eingeordnet werden. Zwar entwickeln sich die Figuren weiter und erkennen Fehler an, nichtsdestotrotz sollten Szenen wie diese noch intensiver benannt und problematisiert werden.
Beispiel Slut Shaming: nur weil man zu einem späteren Zeitpunkt erkennt, dass eine Person auch ein Mensch mit Ängsten und Bedürfnissen ist, rechtfertigt es nicht das Slut Shaming per se. Niemand sollte derartig beleidigt werden. Egal ob man den Menschen auf den ersten Blick versteht oder nicht. Persönliche Differenzen hin oder her. Punkt. Eine ausführliche und aufrichtige Entschuldigung hätte ich mir gegenüber Olivia gewünscht.

Sollte ich all diese Gedanken zusammenfassen, würde ich folgendes sagen: Handwerklich hat Kelly Oram eine durchweg stimmige und spannende Geschichte geschrieben. Ich schätze dieses Buch, denn es glänzt mit dynamischen Figurenkonstellationen wie man es von der Autorin kennt und es macht zugleich den Mund auf. Es gibt hin und wieder einzelne Lücken, die sensibler gefüllt werden sollten. Jedoch hinterfragt und klärt das Buch über eine relevante Thematik auf und widmet sich Tabus. Im Zuge dessen lässt es viele Perspektiven zu Wort kommen, auch jene, die eine Entwicklung aus problematischem Verhalten durchlaufen müssen.