A review by muyelinh
Die Legende der Adlerkrieger by Jin Yong

adventurous inspiring tense medium-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? Yes
  • Loveable characters? Yes
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? Yes

4.75

"Das meistgelesene Fantasy-Epos aller Zeiten"? "Der chinesische Herr der Ringe"? Okay, das muss ich lesen. Also rein in diesen dicken Brocken, mitten in die legendäre Welt des alten China.

Nach einem kurzen Vorwort, das den unbedarften Leser ein erstes Mal vorsichtig in die Welt einführt, schließt sich direkt mal eine schier endlose Namensliste an. Und ja, natürlich ist es sehr schwer, sich erst einmal in diesem unendlichen Panorama zurechtzufinden und die ganzen chinesischen Namen, die stets mit Vor- und Nachnamen ausgesprochen werden, auseinanderzuhalten. Dementsprechend dauert es auch ein bisschen, bis man richtig in der Geschichte drin ist. Aber Hallelujah, dann läuft die Story wie frisch geölt!

Angesiedelt ist das Setting um das Jahr 1200, und der übergreifende Konflikt speist sich aus dem Gegensatz zwischen der südlichen Song-Dynastie der Han-Chinesen und dem von den nomadischen Jurchen eroberten Nordchina. Darüberhinaus spielen auch die Mongolen und andere Stämme jenseits der großen Mauer eine wichtige Rolle, wobei auch historische Personen, allen voran natürlich Dschingis Khan, aber auch seine Söhne und Generäle eine Rolle spielen.

Die tatsächlichen Helden der Geschichte agieren jedoch abseits der Paläste: Es sind Mitglieder des Jianghu, der Vereinigung der Kung-Fu-Kämpfer, die in vieler Hinsicht ihr eigenes Ding durchziehen.
Die Hauptfigur ist der Junge Guo Jing, der in der Mongolei aufwächst und für einen brisanten Kampf gegen einen ihm unbekannten Gegner ausgebildet werden soll. Guo Jing erinnert mit seiner starken Naivität und seinem goldenen Herzen stark an Son-Goku aus "Dragon Ball", und ist ein liebenswerter Protagonist. Noch besser sind seine Lehrmeister, die sieben "Sonderlinge des Südens", eine Gruppe von Kämpfern, die alle durch vollkommen unterschiedliche Kampfstile und Charakterzüge eine anziehende Mischung bereithalten.

An dieser Stelle alle Charaktere aufzuzählen, würde natürlich viel zu weit führen. Es sei damit getan, dass der Autor sehr viel Zeit und Mühe investiert hat, um zahlreiche großartige Figuren zu entwickeln, die alle ganz verschieden und doch auch in vieler Hinsicht natürliche Verbündete sind. Keiner entspricht dem gängigen Klischee des weisen asiatischen Großmeisters, sondern jeder ist fehlbar und menschlich. Jeder von ihnen könnte selbst mühelos eine ganze Geschichte tragen, und in dieser geballten Konstellation eröffnet sich eine Welt, die in zahlreichen Kategorien ihresgleichen sucht. 
Angemerkt sei auch, dass die weiblichen Figuren, vor allem dafür, dass das Buch original in den 1950er-Jahren geschrieben wurde, sehr fortschrittlich geschrieben sind. Natürlich sind sie wunderschön - aber gleichzeitig auch gleichberechtigte und ebenbürtige Kämpferinnen, die sehr wichtige Rollen übernehmen. 

Besonders fantastisch sind hierbei die Kämpfe. In wirklich jedem Kapitel geht es richtig zur Sache, und im Unterschied zu so vielen Fantasyreihen fühlt sich jeder Kampf nicht nur bedeutungsvoll, sondern genuin eigenständig an. Wo woanders nach Schema F rumgekloppt wird, entspinnen sich hier durchdachte Choreografien, die von den Eigenheiten der Kämpfenden leben. Manche haben enge moralische Grundsätze, andere wiederum gar nicht. Wieder andere schwimmen in der weiten Grauzone. Und natürlich unterscheiden sich auch die Konstellationen sowie die Fertigkeiten sehr stark, was immer wieder interessante, einzigartige Situationen produziert. Schon früh fiebert man richtig mit.

Es gibt immer wieder auch gewisse Längen, aber insgesamt ist diese Geschichte beeindruckend vielschichtig und komplex, und sie findet regelmäßig wieder zu den so atemberaubenden Actionsequenzen.

Mir bleibt also an dieser Stelle gar nicht mehr so viel zu sagen, außer die lebendige Übersetzung von Karin Betz zu loben, die diesen Balanceakt mit Bravour bestritten hat.