A review by imaginary_space
Female Choice: Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation by Meike Stoverock

challenging hopeful informative inspiring reflective medium-paced

3.0

 Wie entstand eigentlich das Patriarchat? Eine Frage, die ich mir stelle, seit ich mich mit Feminismus beschäftige, dicht gefolgt von der Frage: Wie können wir eine so lang bestehende Institution überwinden?
"Female Choice" versprach mir Antworten auf diese Fragen, weshalb ich es unbedingt lesen wollte.

Zunächst einmal bemüht sich die Autorin, sich in alle möglichen Richtungen abzusichern. Was leider notwendig ist, wenn man ein Buch schreibt, das Geschlechterverhältnisse aus einer biologischen Perspektive betrachtet. Ich finde es gut, dass sie das tut, und gleichzeitig schade, dass sie es muss.
Der Schreibstil ist angenehm, auch für Laien gut zu verstehen ohne mich als Leserin zu infantisilieren, und in Kombination mit der angenehmen Kapitellänge lässt sich das Buch gut und flüssig lesen. Die Autorin arbeitet oft mit Wiederholungen, was mich bei einem Sachbuch nicht stört, aber das ist sicher Geschmackssache. Mir sind allerdings einige Tippfehler aufgefallen, eine weitere Runde im Lektorat hätte dem Text gut getan.

Insgesamt stecken in "Female Choice" sehr viele Informationen und sehr viel Recherche. Den Inhalt fand ich interessant, an einigen Stellen fehlte mir aber Tiefe oder auch einfach Quellenangaben. Die Autorin stellt viele Behauptungen auf, für die mir oft die Belege fehlten. Zum Beispiel beschreibt sie die Struktur menschlicher Gesellschaften vor der Sesshaftwerdung sehr genau, ohne räumliche Eingrenzung oder Bezug auf Funde und andere Belege. Und das, obwohl wir über diese Zeit fast nichts wissen. Die Theorien sind plausibel, aber es sind eben oft nur Theorien, und ich hätte mir eine diesbezügliche Einordnung gewünscht.
Gelegentlich widerspricht sie sich auch. So führt sie das Verhalten von Frauen an einer Stelle auf Sozialisierung zurück, ein paar Seiten weiter das Verhalten von Männern im selben Kontext auf Biologie. Sie bezieht sich auf Befragungen, einige Kapitel später erklärt sie die Ergebnisse einer anderen Befragung für nicht verlässlich, weil Befragungen generell nicht zuverlässig seien. Über solche Stellen bin ich immer wieder gestolpert, was mich beim Lesen an den Informationen, die mir präsentiert werden, hat zweifeln lassen. Die Quellenliste am Ende des Buches ist zu kurz, um diesen Fragen genauer nachzugehen. Vor allem im Bereich der Biologie und Geschichte hätte ich mir viel mehr Einträge gewünscht, mit Themen wie Incels, Lohnungerechtigkeit etc. bin ich als Feministin, die sich selbst informiert, ganz vertraut. So klingt vieles, was die Autorin schreibt, für mich plausibel, einiges unglaubwürdig und ich muss selbst herausfinden, wofür welche Belege existieren.

Besonders interessant und zum Nachdenken anregend fand ich ihre Ideen zur Lösung des Incels-Problems, den Exkurs zu Transmenschen und nicht-binären Geschlechtern aus biologischer Sicht und die vielen Informationen über Partnerwahl im Tierreich.
Die wichtigste Erkenntnis, die ich für mich mitgenommen habe ist, dass wir bei einem Umbruch der Gesellschaft "im Menschheitsmaßstab" denken müssen, dass dieser Umsturz lange dauert und wir ihn nicht mehr erleben werden. Das war mir theoretisch schon immer irgendwie klar, aber Meike Stoverock hat es so gut in Worte gefasst, dass ich es jetzt auch endlich zugebe.
Sehr dankbar bin ich der Autorin auch für ihre deutlichen Worte zur Verantwortung der Gläubigen für ihre jeweilige Religion und die Menschen, die unter ihrem Deckmantel Gutes oder Schlechtes tun. Damit spricht sie mir aus der Seele. Und wenn sie fragt, "Warum unterscheiden wir Christentum und Islam von Sekten, Verschwörungsmythen und esoterischen Ideen?", dann fühle ich mich verstanden. Damit wird sie sicher polarisieren, und das ist auch gut so, denn ich finde, diese Fragen werden viel zu selten gestellt.

Aber dafür, dass es "einen fundamentalen Umsturz der gesamten Zivilisationsordnung, eine Umkehrung ihrer Grundbedingungen" fordert, bietet mir das Buch zu wenige Vorschläge, wie dieser genau aussehen soll und wie wir dort hinkommen. Dafür, dass es Teil des Buchtitels ist, ist mir dieses Kapitel viel zu kurz und die Vorschläge, die sie anbringt, werden seit Jahren sowohl in feministischen als auch in anderen Kreisen diskutiert. Für mich war hier also nichts Neues dabei, was mich sehr enttäuscht hat und mir am Ende das Gefühl gab, durch das Lesen des Buches nicht viel gewonnen zu haben. Beantwortet hat das Buch meine anfangs gestellten großen Fragen also leider nicht.

Die Aufrufe an die Leser:innen, sich selbst Gedanken zu machen, sind richtig und wichtig, doch gerade bei einem solch komplexen Thema hätte ich mehr Richtungsweisung oder einfach Gedankenspiele erwartet. So weiß ich nicht genau, an wen sich das Buch richtet - um Einsteiger:innen in das Thema oder zweifelnde Menschen abzuholen, ist es zu provokativ, für Menschen im Thema fehlt ihm die Tiefe. Empfehlen würde ich es aber wohl Einsteiger:innen, die am Thema Feminismus interessiert sind, denn es enthält sehr viele Informationen, einen guten Überblick und erste Lösungsvorschläge.

"Female Choice" wurde mir vom Verlag als gratis Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.