A review by rjdillmann
Die Chroniken des Aufziehvogels by Haruki Murakami

4.0

3.5 Sterne. Wahrscheinlich nur dann herausragend, wenn man auch Murakami nur chronologisch liest. In meiner chaotischen Reihenfolge wiederholen sich die Dinge zu sehr: Die Frau läuft weg, fast erwachsene Mädchen turnen durch die Gegend, Geisterglöckchen klingeln, Hellseher orakeln. Tokio ist voller Menschen, doch der Protagonist ganz allein. Es läuft Rossini. Jemand fährt alte europäische Autos in perfektem Pflegezustand. Jemand anderes flieht ins Gebirge.

Auch der Spannungsaufbau nach bewährtem Muster: Es passiert eigentlich fast nichts, doch immer wieder deutet sich ein "Darunter" an, dass die Dinge erst Wert und Bedeutung, oder Wichtigkeit durch den Menschen und seine Meinung von ihm haben, macht sie auch anfällig dafür, etwas ganz anderes sein zu können. Du könntest durch eine Wand gehen, eine Tür öffnen oder ein Licht einschalten, und deine Welt ist ver-rückt, alles leicht verschoben. Die Menschen sprechen nicht mehr normal. Natürlich passt die ganze Symbolik zu diesem narrativen Ansatz, bis hin zu (um nur ein Beispiel zu nennen) Zimt, der krampfhaft jeden Einrichtungsgegenstand zentimetergenau ausrichtet.

Der Protagonist, auch das ganz üblich, ist ein scheiternder Mann, der in seiner immer kleiner werdenden Welt geordnet lebt, eingepasst (oder gepresst) in die japanische Mittelschicht. Aber die Dinge gewinnen nun etwas Museales, Erhabenes, Mysteriöses. Etwas wirkt gebrochen, unangebracht, wie ein leiser Misston hinter dem Akkord. Weil zugleich die ersten 50 Seiten so still sind, erwartet man schon jetzt den Knall, den Pistolenschuss. 600 Seiten später wird natürlich geschossen und gestochen. Katharsis, alles wieder auf dem Weg in ein neues, jetzt gereinigtes Leben, frei vom Grundkonflikt.

Zwei Großthemen: Der Mann, entfremdet von Frau, Familie und Gesellschaft, kinderlos. Die Urangst vor dem anderen, dem besseren, dem Nebenbuhler. Die fehlende Anerkennung. Dann das Trauma, vor allem des zweiten Weltkrieges, unaufgearbeitet. Wer damals ungestraft davon kam, machte große politische Karriere, der gleiche machtgeile Sadismus lebt in den Söhnen und Neffen weiter, und auch die machen Karriere. Schreckliche Gewalt in der Mandschurei, in Nanjing, aber keine Sühne. Gott ist nur erkennbar als kurzer Lichtstrahl, der verwandelnd in den tiefen Brunnen leuchtet, und er wirkt durch die, die sehen können, die spüren, dass das Dämonische, Böse, noch in so vielen ist und dass auch der Weg zum neuen Verbrechen nicht weit wäre. Ein ungeheuer wertvoller, aber vielleicht etwas zu bemalter und prunkvoller Spiegel für die japanische Gesellschaft.

Mit dem fünften Buch wird Murakami dann für mich, was er nie sein wollte: Easy Listening statt Rossini. Man findet sich sofort zu Recht. Die Spannungsbögen wirken noch, aber die Tricks werden alt. Doch ich will nicht wie schwedische Komitees denken: Es war ein gutes Buch.