Take a photo of a barcode or cover
A review by premium_huhn
FRAUEN LITERATUR: Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt by Nicole Seifert
informative
reflective
medium-paced
3.0
Vor einiger Zeit habe ich Joanna Russ' Essay "How to Suppress Women's Writing" von 1983 gelesen. Russ stellt darin anhand zahlreicher Beispiele eine Reihe von Methoden fest, mit deren Hilfe schreibende Frauen systematisch kleingehalten werden - von Seiten der Verlage, der Kritik, von Jurys, die Preise vergeben, jenen, die für die Erstellung von Lesekanons zuständig sind und letztlich den einzelnen Lesenden selbst.
Nicole Seiferts Essay "Frauen Literatur" knüpft gewissermaßen daran an, indem sie die bei Russ festgestellten systemischen Probleme anhand von aktuellen Beispielen auch in unserer Zeit und im deutschsprachigen Raum (und immerhin angeschnitten für nicht-weiße Autorinnen) feststellt. Das war durchaus mit Gewinn zu lesen, aber ich denke, dass die vorhergehende (oder darauffolgende) Lektüre von Russ fast Pflicht ist, denn Russ empfand ich als deutlich systematischer und vollständiger in ihrer Argumentation.
Zudem bringt Joanna Russ neben ihrer Sicht als Literaturwissenschaftlerin, die sich mit dem klassischen Bildungskanon bestens auskennt, auch ihre Expertise als als Science-Fiction-/Fantasy-Autorin und -Leserin mit in ihre Texte. Die wiederum fehlt mir hier ziemlich. Dezidiert darauf verwiesen, dass es eine Tradition feministischer dystopischer Literatur gebe, wird lediglich an einer Stelle (und hier wird das unschöne Wort fantastischer geschickt durch ein viel wohlklingenderes ersetzt). Nur wenige Autorinnen dieser Genres werden genannt. Joanna Russ dabei nur ihres oben genannten Essays wegen, ihre reiche Tätigkeit als Autorin wird unterschlagen. Die Horrorgeschichte "Die gelbe Tapete" gewinnt nur an Wert, indem sie aus ihrem Genre gelöst wird: "Charlotte Perkins Gilman arbeitet mit den Mitteln der Horrorgeschichte, und als solche wurde sie bei ihrem ersten Erscheinen auch gelesen. Erst nach Gilmans Wiederentdeckung im zwanzigsten Jahrhundert wurde gewissermaßen das Muster dahinter erkannt: Hier geht es um die Rolle der Frau in der Gesellschaft [...]." (S. 108) Dass Gilmans Geschichte ihren Horror aus eben jener Rolle der Frau in der Gesellschaft schöpft, genau deswegen nicht nur mit den Mitteln eines solchen arbeitet, sondern in genau dieses Genre einzuordnen ist und trotzdem überaus lesenswert sein könnte, scheint nicht vorstellbar zu sein. Ich sehe durchaus Parallelen zwischen den Methoden, mit denen schreibende Frauen marginalisiert werden und jenen, mit denen die Phantastik systematisch abgewertet wird und da bekleckert sich dieses Buch auch nicht gerade mit Ruhm, indem es solche Tendenzen unreflektiert übernimmt.
Die angehängte Leseliste ist spannend (auch wenn ich den Teufel tun werde, ein Buch zu lesen, das sinngemäß als eine vom Humor befreite Effie Briest vorgestellt wurde und sei es noch so sehr von einer Frau geschrieben xD). Das in eine Reihe mit LeGuin und Atwood gestellte "Miroloi" von Karsten Köhler habe ich mir nach der Lektüre dieses Buches hier aus der Bibliothek geholt und gelesen. Mehr dazu in einer eigenen Review, allerdings möchte ich anmerken, dass ich das in der Leseliste empfohlene "Freie Geister" von LeGuin durch "Die Gräber von Atuan" ersetzt hätte, das, wie ich vermute, weitaus mehr Parallelen zu Miroloi aufweist als ein utopischer (und nicht dystopischer!) Roman mit einem Mann in der Hauptrolle.
Die Quellennachweise fand ich schwer benutzbar, da hätte ich mir einfach Fußnoten oder wenigstens reguläre Endnoten gewünscht.
Alles in allem ist das Buch jedoch mit Gewinn zu lesen, insbesondere in Verbindung mit dem älteren Essay von Joanna Russ. Schade, dass (wie ich den Rezensionen auf Goodreads entnehme) fast nur Frauen das Buch in die Hand zu nehmen scheinen.
Nicole Seiferts Essay "Frauen Literatur" knüpft gewissermaßen daran an, indem sie die bei Russ festgestellten systemischen Probleme anhand von aktuellen Beispielen auch in unserer Zeit und im deutschsprachigen Raum (und immerhin angeschnitten für nicht-weiße Autorinnen) feststellt. Das war durchaus mit Gewinn zu lesen, aber ich denke, dass die vorhergehende (oder darauffolgende) Lektüre von Russ fast Pflicht ist, denn Russ empfand ich als deutlich systematischer und vollständiger in ihrer Argumentation.
Zudem bringt Joanna Russ neben ihrer Sicht als Literaturwissenschaftlerin, die sich mit dem klassischen Bildungskanon bestens auskennt, auch ihre Expertise als als Science-Fiction-/Fantasy-Autorin und -Leserin mit in ihre Texte. Die wiederum fehlt mir hier ziemlich. Dezidiert darauf verwiesen, dass es eine Tradition feministischer dystopischer Literatur gebe, wird lediglich an einer Stelle (und hier wird das unschöne Wort fantastischer geschickt durch ein viel wohlklingenderes ersetzt). Nur wenige Autorinnen dieser Genres werden genannt. Joanna Russ dabei nur ihres oben genannten Essays wegen, ihre reiche Tätigkeit als Autorin wird unterschlagen. Die Horrorgeschichte "Die gelbe Tapete" gewinnt nur an Wert, indem sie aus ihrem Genre gelöst wird: "Charlotte Perkins Gilman arbeitet mit den Mitteln der Horrorgeschichte, und als solche wurde sie bei ihrem ersten Erscheinen auch gelesen. Erst nach Gilmans Wiederentdeckung im zwanzigsten Jahrhundert wurde gewissermaßen das Muster dahinter erkannt: Hier geht es um die Rolle der Frau in der Gesellschaft [...]." (S. 108) Dass Gilmans Geschichte ihren Horror aus eben jener Rolle der Frau in der Gesellschaft schöpft, genau deswegen nicht nur mit den Mitteln eines solchen arbeitet, sondern in genau dieses Genre einzuordnen ist und trotzdem überaus lesenswert sein könnte, scheint nicht vorstellbar zu sein. Ich sehe durchaus Parallelen zwischen den Methoden, mit denen schreibende Frauen marginalisiert werden und jenen, mit denen die Phantastik systematisch abgewertet wird und da bekleckert sich dieses Buch auch nicht gerade mit Ruhm, indem es solche Tendenzen unreflektiert übernimmt.
Die angehängte Leseliste ist spannend (auch wenn ich den Teufel tun werde, ein Buch zu lesen, das sinngemäß als eine vom Humor befreite Effie Briest vorgestellt wurde und sei es noch so sehr von einer Frau geschrieben xD). Das in eine Reihe mit LeGuin und Atwood gestellte "Miroloi" von Karsten Köhler habe ich mir nach der Lektüre dieses Buches hier aus der Bibliothek geholt und gelesen. Mehr dazu in einer eigenen Review, allerdings möchte ich anmerken, dass ich das in der Leseliste empfohlene "Freie Geister" von LeGuin durch "Die Gräber von Atuan" ersetzt hätte, das, wie ich vermute, weitaus mehr Parallelen zu Miroloi aufweist als ein utopischer (und nicht dystopischer!) Roman mit einem Mann in der Hauptrolle.
Die Quellennachweise fand ich schwer benutzbar, da hätte ich mir einfach Fußnoten oder wenigstens reguläre Endnoten gewünscht.
Alles in allem ist das Buch jedoch mit Gewinn zu lesen, insbesondere in Verbindung mit dem älteren Essay von Joanna Russ. Schade, dass (wie ich den Rezensionen auf Goodreads entnehme) fast nur Frauen das Buch in die Hand zu nehmen scheinen.