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A review by pascalthehoff
Identitti by Mithu Sanyal

5.0

Identitti ist ein Essay im trojanischen Pferd und dafür liebe ich es. Es vermittelt Essentials der Identitäts- und Postkolonialstudien (und weit mehr aktuell relevante Themen), die hoffentlich deutlich mehr Leser*innen finden, weil all die erzählerischen Vorzüge eines Romans die sperrige Theorie sanft den Hals hinunterspülen. Show, don‘t tell!

Dass Identitti dabei nicht nur als verkapptes wissenschaftliches Essay funktioniert, sondern auch als Roman wunderbar erzählt ist, ist essentiell für diesen Effekt. Gerade bei Erzählungen, in denen sich die innere Welt der Hauptfigur kontinuierlich umwälzt, fällt es auf, wenn die emotionalen Wendepunkte plump herbeigedichtet werden. Identitti hingegen nimmt sich die Zeit, plausibel auf Aha-Momente hinzuarbeiten – und das, obwohl der Plot gleichzeitig in einem sehr kompakten Rahmen bleibt und selten Zeit verschwendet.

Was die Protagonistin selbst an einer Stelle dazu sagt, trifft den Nagel auf den Kopf (paraphrasiert): „Kann Saraswati nicht EINEN Satz sagen, nach dem ich nicht sprachlos bin!?“

Dass die Charaktere gerade in der zweiten Hälfte manchmal im Kreis diskutieren, trägt nur dazu bei, zu zeigen, wie komplex die behandelten Themen sind. Dass DIE große Frage des Buches erst sehr spät aufgelöst wird, ist der einzige Bruch, dürfte aber der Tatsache geschuldet sein, dass der Roman diese dramaturgische Spannung braucht. Im Großen und Ganzen ist das aber ein Makel, den man dem Buch verzeihen kann.