mira123's reviews
788 reviews

Fourth Wing by Rebecca Yarros

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4.0

 
Wer auf irgendeinem sozialen Netzwerk unterwegs und dort in der Buchbubble ist, hat garantiert schon von diesem Buch gehört. Die einen feiern es, die anderen machen sich darüber lustig, und ich bin natürlich auch schnell neugierig geworden. Und ganz ehrlich: Ich hätte mir nicht erwartet, dass mir dieses Buch gefällt. Aber wenn sich dem Chor der Lobeshymnen plötzlich gleich mehrere Freund:innen anschließen? Dann kann das gar nicht so schlecht sein, wie die Kritiker:innen so sagen, oder? Und was soll ich sagen? Das war ein ziemlich überraschendes Highlight für mich.

In diesem Buch folgen wir Violet durchs erste Jahr am Kriegs-College. Dort sollen die Schüler:innen zu Soldat:innen ausgebildet werden - wenn sie denn lange genug überleben, um tatsächlich auf dem Schlachtfeld zu landen. Denn eine Besonderheit am Kriegs-College ist, dass die meisten Arten körperlicher Gewalt hier total alltäglich und erlaubt sind. Wenn jemand dabei stirbt oder von anderen Schüler:innen ermordet wird, dann ist das voll okay. Dann war diese Person sowieso nicht stark genug, um auf dem Schlachtfeld zu überleben. 
Also eigentlich ein Setup, das man so nicht ganz ernst nehmen kann. Das war zumindest meine Einstellung, als ich zu lesen begonnen habe. Und ich muss sagen: Ja, ich sehe die Kritikpunkte, die online gemacht wurden, aber trotzdem hatte ich mit diesem Roman unglaublich viel Spaß. Ja, ich stimme zu, dass das nicht die sinnvollste Art ist, neueste Soldat:innen auszubilden, gleichzeitig hab ich aber auch genossen, wie sehr die Spannung durch dieses gefährliche College erhöht wurde. Ja, ich verstehe ebenfalls nicht ganz, warum überhaupt irgendjemand diese Schule besuchen möchte. Aber eine komplett leere Schule zu präsentieren, macht halt nur wenig Sinn. Und ja, auch ich finde den Spitznamen "Violence", den Violet von Love Interest Xaden verpasst bekommt, ebenfalls nicht besonders gut. Und stellenweise wurde mir Krieg fast etwas zu sehr romantisiert. Krieg macht keinen Spaß und ist kein Spiel, sondern ist eine Hölle, die ich nie selbst erleben möchte.
Aber das ändert nichts daran, dass ich richtig viel Spaß mit diesem Reihenauftakt hatte.

Das Buch ist richtig toll geschrieben und zwischen Xaden und Violet herrscht eine sehr spannende Chemie, die mich fast schon süchtig machte. Und auch sonst gab es viele tolle Figuren, von denen fast keine einfach nur gut oder nur böse ist. Stattdessen schafft die Autorin es, überraschend viele Graustufen zu zeigen. Das ist eine Art von Tiefe, die ich einem Jugend-Fantasyroman nicht erwartet hätte. Und das Buch endet auch mit einem richtig miesen Cliffhanger, der mich sehr überrascht hat und der mich auf jeden Fall dazu bringen wird, den zweiten Band auch noch zu lesen.

Schon bevor ich dieses Buch gelesen habe, ist mir vor allem ein Kritikpunkt, der von vielen gemacht wurde, hängen geblieben: Das Buch könne man nicht ernst nehmen, denn es sei ja nur eine sexuelle Fantasie der Autorin, die von jungen Frauen auch nur deswegen gelesen werde. Davon abgesehen, dass die explizit sexuellen Szenen vielleicht insgesamt nur so um die zehn Seiten betragen (von insgesamt in der englischen Version über 500 Seiten), ist das eine Kritik, die mal wieder misogyn und sexistisch ist. Sexuelle Lust und sexuelle Vorstellungen von Frauen werden so abgewertet und niedergemacht. So werden Frauen und Menschen, die als weiblich gelesen werden, für ihre sexuellen Vorlieben beschämt - und das mal wieder in vielen Fällen von Männern. Und bitte versteht mich nicht falsch: Wenn ihr in euren Büchern keinen Spice und keine Erotik lesen wollt, dann ist das voll in Ordnung. Müsst ihr ja auch nicht. Menschen haben unterschiedliche Geschmäcker. Wenn ihr diese eine Art, Sexszenen zu schreiben, wie man sie hier findet, nicht gut findet, dann sagt das genau so. Auch das ist in Ordnung. Aber das Buch auf diese 10 Seiten zu reduzieren und es damit abzuwerten? Und dann auch noch die Autorin persönlich durch diese Form der Kritik anzugreifen? Auf so eine unterirdisch miese Art? Das ist nicht okay.

Mein Fazit also? Wenn ihr dieses Buch nicht mögt, ist das völlig in Ordnung. Ich habe die Lektüre aber sehr genossen und freue mich schon auf den zweiten Teil, den ich auch schon bei der Bücherei für mich vorbestellt habe. 
Honesty. Was die Wahrheit verbirgt: Band 1 by Franzi Kopka

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2.0

 
Ich war als Jugendliche ein großer Fan von Dystopien - und liebe sie noch heute. Diese Bücher üben auf mich eine solche Faszination aus, dass ich sogar meine Bachelorarbeit zum Thema geschrieben habe. Wenn da also ein neues Buch erscheint, das vielversprechend scheint und sich in die Reihen meiner alten Favoriten einordnen möchte, dann muss ich da sofort zugreifen.

Leider muss ich hier aber gleich zugeben, dass mich dieses Buch erst ab der zweiten Hälfte irgendwie abholen konnte. Und auch dann war das leider nicht so überzeugend, dass ich diese Reihe weiterempfehlen könnte. Und das tut mir wirklich leid, denn viele Elemente, die sich die Autorin überlegt hat, wären eigentlich vielversprechend. So ist das zum Beispiel die erste Dystopie, die ich entdeckt habe, die es tatsächlich schafft, eine gewisse Diversität bei ihren Figuren zu repräsentieren. Und das rechne ich dem Buch und der Autorin auch hoch an.

Aber diese Diversität erschwerte es hier leider ein bisschen, ein glaubwürdiges Weltbild zu erschaffen. Warum ist zum Beispiel die frühe Eheschließung so unglaublich wichtig? Die Figuren MÜSSEN Anfang 20 heiraten, sonst verlieren sie ihre Privilegien. Meistens gibt es für solche Maßnahmen einen einfachen Grund in Dystopien: Entweder droht die Menschheit auszusterben und die Menschen sollen Kinder bekommen oder die Eheschließung ist ein Kontrollmechanismus und die Ehepartner sollen einander überwachen. Aber was ist hier der Grund? Das habe ich leider nicht verstanden. Und in beiden Fällen wirkt die große Toleranz der doch eher als autoritär gezeichneten Gesellschaft als fehl am Platz. So sind asexuelle und aromantische Personen zum Beispiel komplett von dieser Regelung ausgenommen. Das finde ich zwar an sich lobenswert, das in dieser Welt auch asexuelle Menschen, gleichgeschlechtliche Liebe und nichtbinäre Identitäten einen Platz finden, aber es erschwert natürlich auch das Finden einer Begründung für diese Regelung. Das hat für mich dann leider nicht funktioniert - und das ist super schade, denn der Großteil dieser Handlung dreht sich doch um dieses Partnerschaftsprogramm, an dem auch die Protagonistin Mae teilnimmt.

Dadurch, dass die Autorin es schafft, so viele diverse Figuren in die Geschichte mit aufzunehmen, finde ich es umso schader, dass gerade misogyne Erzählungsmuster trotzdem erhalten bleiben und unhinterfragt verwendet werden. So ist Mae leider so gar nicht wie andere Mädchen. Makeup interessiert sie eigentlich nicht und Mode auch nicht. Teils ist das natürlich ihren Lebensumständen geschuldet, aber leider nicht nur. Mae wird generell als "anders" gezeichnet, was natürlich okay sein kann, wenn es dann dabei geblieben werde. Aber das kombiniert mit der Tatsache, dass scheinbar wirklich alle anderen Mädchen (außer natürlich Maes allerbeste Freundin, die das auch sofort und ohne gemeinsame Vorgeschichte wird), die gezeigt werden, als die ärgsten Zicken überhaupt gezeichnet werden? Und dann noch der große Kampf um männliche Anerkennung, die für einige der Mädchen hier das wichtigste der Welt zu sein schien? Puh, das wirkte auf mich dann leider doch nicht so fortschrittlich und divers, wie das Buch gerne sein möchte.

Eine weitere Frage, die sich mir nach dem Ende des Buches stellt, ist folgende: Wo ist Alice im Buch, wenn sie nicht gerade angesprochen wird? Alice ist die Künstliche Intelligenz, die alle Menschen ständig überwacht und sich um sie kümmert. Wenn du zum Beispiel Musik hören möchtest oder etwas wissen willst, dann fragst du Alice danach. Wenn Mae aber eine ihrer vielen Panikattacken hat, Leute anschreit (was in dieser Welt mehr als nur ein bisschen verdächtig ist) und eindeutig verbotene Gefühle zeigt, scheint Alice wohl gerade anderwertig beschäftigt zu sein. Zumindest gibt es für dieses Verhalten nie Konsequenzen und selbst andere Menschen, die sich um sie herum befinden und ja selbst wissen, dass dieses Verhalten in dieser Welt nicht normal und sogar verboten ist, scheinen es nicht für nötig zu halten, sie zu melden. Bei Maes Bruder verstehe ich das ja - ich würde meine Geschwister auch nicht auf diese Art verraten. Aber bei Fremdem? Da würde man sich in dieser Welt doch verdächtig machen, wenn man daran einfach vorbeigeht, oder?

Mein Fazit? Dieses Buch war leider überhaupt nicht mein Fall. Schade, denn ich habe mich sehr auf die Lektüre gefreut.
Drei Magier und eine Margarita by Annette Marie

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5.0

 
Wisst ihr, was ich liebe? Wenn ich ein Buch lese und dabei einfach schon im April merke, dass ich gerade ein Jahreshighlight verschlinge. Egal was sonst noch so kommt: Dieses Buch wird am Ende des Jahres bei meinen Favoriten sein. Was für eine geniale Story!

Was euch hier erwartet? Viel Ironie und Sarkasmus, eine bissige, aber liebenswürdige Protagonistin und eine magische Welt, wie ich sie mir gewünscht habe. Die Geschichte und der Stil, in dem sie geschrieben ist, sind super lustig und ich habe wohl über so gut wie alle der Witze gelacht (und dabei mal wieder ein paar seltsame Blicke kassiert - scheinbar ist das für die meisten Menschen nicht Alltag, dass jemand über Bücher lacht. Aber he, das bin ich inzwischen gewohnt!). Gleichzeitig schaffte es das Buch aber auch eine ordentliche Spannung aufrecht zu erhalten - und das mehr oder weniger die ganze Handlung über. Aber, und das fand ich ganz wichtig: Das war eine angenehme Spannung. Nichts, das mir zusätzlichen Stress macht oder mich nachts wach hält. Und das macht diesen Roman zu einem tollen Wohlfühlbuch für Zwischendurch. 

Schön finde ich auch, dass hier über eine magische Welt erzählt wird, die problemlos einfach so parallel zu der unseren existieren könnte. Wenn es eine Autorin schafft, ein solches System zu entwickeln, dann bekommt das Buch von mir automatisch Pluspunkte. Nicht vergessen: Ich bin einfach eine kleine Träumerin, die will, dass Magie existiert und jetzt natürlich hofft, in einen magischen Pub zu stolpern und dort von drei gut aussehenden Magiern angegraben zu werden. Upsi!

Worüber ich mich hier sonst noch so gefreut habe? Seht ihr die kleine "1" auf dem Cover? Jap, ich natürlich auch. Und jetzt freue ich mich schon tierisch auf den zweiten Band der Reihe. Ich kann es kaum erwarten, zu erfahren, was sich die Autorin sonst noch so wird einfallen lassen.

Mein Fazit? Eine tolle Lektüre, mit der ich viel Spaß hatte! 
Traumnovelle by Arthur Schnitzler

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2.0

 
Uff, das wird jetzt wieder so eine Rezension, unter der mir auf allen Plattformen mindestens ein halbes Dutzend Männer erklären wird, warum ich mit meiner Meinung falsch liege und generell keine Ahnung von Literatur habe. Hier also nochmal als kleine Erinnerung an alle Typen, die es jetzt schon in den Fingern juckt, sich zu beschweren: Literatur ist mein Fachgebiet. Ich bin Expertin. Aktuell schreibe ich meine Masterarbeit im Fach Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaften. Bitte erklärt mir nicht ein Thema, in dem ich mich in 99 Prozent der Fälle besser auskenne als ihr. Und: Ich sage hier, dass MIR ein Klassiker nicht gefallen hat und ich ihn für problematisch halte. Ich sage NICHT, dass NIEMAND diesen Klassiker gut oder lesenswert finden darf.
So, super, dass dieses Missverständnis jetzt aus dem Weg geräumt wurde und wir uns auf meine höchst subjektive Meinung konzentrieren können. Die ich im oberen Absatz schon gespoilert habe. Upsi.
Aber worum geht es denn überhaupt? Arzt Fridolin stellt im Gespräch mit seiner Frau Albertine fest, dass sie auf sexueller Ebene nicht ganz zufrieden mit der Beziehung ist und sich wünscht, dass sie sich vor der Ehe mehr ausprobiert hätte. Was sie aber natürlich nicht getan hat, denn als Frau hattest du zu dieser Zeit jetzt nicht so besonders viel Spielraum für Sex außerhalb der Ehe. Und wie reagiert man da als reifer und erwachsener Mann, der eigentlich bisher in seiner Ehe nicht unzufrieden war und die gemeinsame Tochter liebt? Richtig, man beginnt sein Leben und seine Frau aus ganzem Herzen zu hassen und dreht völlig am Rad. Was man halt so macht. Fridolin geht hier zu Prostituierten, auf Orgien und spielt sich als der große Verführer auf. Und dabei sexualisiert er wirklich jedes Mädchen und jede Frau, die ihm unterkommt. 
Und das ist mein größtes Problem mit dieser Geschichte. Dass ich die Sichtweisen von Männern aus klassischer Literatur nie ganz verstehe, ist für mich nichts Neues. Auch Sexismus und Sexualisierung von Frauen generell in älteren Büchern kommt sehr oft vor - und auch da bin ich inzwischen schon abgehärtet. Aber pädophile Tendenzen? Ekelhaft! Gehts noch? Und sowas gehört heute zum großen Kanon der Literaturgeschichte?! Ich will gar nicht wissen, wie oft hier Mädchen als "fast noch Kinder" beschrieben wurden und wie oft ihre Kindlichkeit hervorgehoben wurde. Und das dann einfach für die Hauptfigur das Attraktivste war, das ihm bei einer Person unterkommen kann. Und ja, sicher 75 Prozent des Plots waren leider Beschreibungen von viel zu jungen Mädchen. Ganz ehrlich: So ein Buch sollte man meiner Meinung nach aus dem Kanon streichen. Wir haben schon so viele Bücher mit problematischen Inhalten auf unseren Literaturlisten stehen, dass wir nicht auch noch ein Buch drauf haben müssen, das Kinder sexualisiert. Diese Funktion hat schon Goethes "Faust" für sich beansprucht.
Mein Fazit? Leider überhaupt nicht mein Fall. Ich fand es ganz ehrlich einfach ekelhaft. 
Beklaute Frauen by Leonie Schöler

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5.0

Hier habe ich endlich mal etwas ausprobiert, das ich schon öfters bei anderen Blogger:innen beobachtet habe: Ich habe das Hörbuch angehört und simultan dazu das Buch gelesen. Und was soll ich sagen? Es funktioniert sehr gut. Das werde ich in Zukunft ganz sicher öfter machen. Ich hatte plötzlich gar keine Probleme mehr, mit den Gedanken beim Text zu bleiben und fand es um einiges weniger anstrengend, zu lesen. Was auch bedeutet hat, dass ich teils 100 Seiten in einer Sitzung lesen konnte, ohne danach komplett kaputt zu sein. Und, ein Funfact, den ich dank diesem Experiment jetzt kenne: Die angenehmste Hörbuchgeschwindigkeit für mich, wenn ich parallel dazu lesen möchte, ist 2,5. Insgesamt also: 10 von 10 Punkten, werde ich definitiv in Zukunft öfter machen. Wozu hat man denn ein Hörbuchabo?

Jetzt aber endlich zum Buch. In "Beklaute Frauen" geht es - wie der Titel bereits vermuten lässt - um Frauen, denen in der Geschichte nicht die Wichtigkeit zuerkannt wird, die sie verdient hätten. Und meist waren daran die Männer Schuld, die sie um sich hatten. Ehemänner, Arbeitskollegen, Künstlerkollegen,... Dieses Buch hat mich unglaublich wütend gemacht. Ganz ehrlich? Es ist nicht so besonders schwierig, sich nicht die Leistungen anderer Menschen selbst zuzuschreiben und sich Erfolge selbst zu arbeiten. Seriously, wie kommt man überhaupt auf die Idee, zum Beispiel ins Büro der Arbeitskollegin einzubrechen, um ihre Notizen zu stehlen und anschließend sogar in der eigenen Autobiographie damit zu prahlen, dass man sich den Nobelpreis nur durch Betrug und Diebstahl "verdient" hat. Bah, da wird mir richtig übel! Und das richtig Schlimme ist ja, dass solche und ähnliche Aktionen nicht nur Auswirkungen auf den beruflichen Erfolg dieser Menschen hatte: Hier wird auch von Suiziden berichtet, die infolge dieses Verhaltens geschahen.

Trotz dieses sehr emotionalen Themas, das mich persönlich einfach nur wütend macht, schafft es die Autorin mit viel Empathie über diese vergessenen Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Heldinnen und so weiter zu berichten und ihnen so die Sichtbarkeit zurückzugeben, die sie eigentlich schon zu Lebzeiten verdient hätten. Das passierte an vielen Stellen auch wortwörtlich, nämlich durch Fotos von den Frauen. Ich würde mir wünschen, dass dieses Buch in den nächsten Wochen und Monaten alle Bestsellerlisten anführt und im Internet gehyped wird, denn ich möchte, dass all diese Namen und Geschichten im kollektiven Gedächtnis landen, verdammt!

Gleichzeitig beweist die Autorin aber nicht nur Empathie für die Vergessenen, sondern auch für ihre Leser:innen. Vor jedem Kapitel findet man Triggerwarnungen, was ich für wichtig und richtig halte. So haben wirklich alle die Möglichkeit, ein Kapitel zu überspringen, sollten sie zu einem Thema gar nichts lesen können oder wollen. Kann ich euch persönlich zwar nicht empfehlen, da ihr dann eine Menge spannender Frauen nicht kennenlernen werdet, aber wie immer gilt trotzdem: Deine Mental Health hat Vorrang.

Die Autorin beschränkte sich aber nicht nur auf die Biographien verschiedener Frauen, sondern kontextualisierte diese auch sehr gut. Sie ging so zum Beispiel auch auf die Diskriminierung durch Gesetze ein, erklärte, wie bestimmte Aspekte in der Gesellschaft zur Zeit funktionierten, in der die einzelnen Frauen lebten und geht dabei auch intersektional vor, was mir sehr wichtig erscheint. In Infokästen (oder im Hörbuch einfach "Info" genannt) erklärt sie dabei auch so schwierige Wörter wie "intersektional". (Zur Info: Das bedeutet, dass nicht jeder Mensch auf gleiche Art von Diskriminierung betroffen ist. Es gibt auch Dinge wie Mehrfachdiskriminierung. Ich als junge weiße Frau aus Österreich bin von Sexismus anders betroffen als eine POC-Frau, die aus Syrien nach Österreich geflüchtet ist und eine Behinderung hat. Was nicht bedeutet, dass Sexismus für mich nicht auch schlimm ist, aber im Gegensatz zur anderen Frau bin ich nicht zusätzlich von Rassismus, Gewalt gegen Migrant:innen oder von Ableismus betroffen. Der Sexismus, den diese Frau erlebt, wird auch sehr wahrscheinlich anders aussehen als der gegen mich. Man denke zum Beispiel an das Klischee der "Angry Black Woman", das sowohl rassistisch als auch sexistisch ist und mich nie betreffen wird.)

Mein Fazit? Dieses Buch und Hörbuch hat mich sehr beeindruckt und ich kann es kaum erwarten, es in den nächsten Wochen allen Menschen in meiner Umgebung aufzuzwingen.
Vierzehn Tage: Ein Gemeinschaftsroman | Ein einzigartiges Romanprojekt, das zahlreiche hochkarätige Autorinnen und Autoren zusammenbringt by Douglas Preston, Margaret Atwood

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3.0

 
Sagt euch das "Decamerone" etwas? Dabei handelt es sich um einen italienischen Klassiker von Boccaccio. Die Geschichte spielt zur Zeit der Pest: Eine Gruppe Adeliger flieht während der Pest auf einen Landsitz in der Toskana, isoliert sich dort brav selbst und erzählt sich den lieben langen Tag Geschichten. So entstand eine sehr spannende Kurzgeschichtensammlung voll mit Geschichten, von denen ich viele überraschenderweise aus meiner Kindheit kannte. Ihr könnt euch vorstellen, wie überrascht Klein-Mira war, als sie diese Geschichten dank einem Unikurs wiederentdeckte. 

So ähnlich funktioniert auch dieses Buch: Während dem ersten Covid-Lockdown treffen sich die Bewohner:innen eines Hauses jeden Abend auf dem Dach. Dort erzählen sie sich Geschichten. Die Grundhandlung folgt einer jungen Hausmeisterin, nach und nach kommen aber alle Figuren zu Wort. Jede dieser Geschichten stammt aus der Feder einer anderen Autorin oder eines anderen Autors - wie immer bei solchen Anthologien war es auch hier so, dass sich daher auch die Qualität der Geschichten voneinander unterschied. Von "Absolut gigantisch und will ich gleich nochmal hören!" über "Ja, ganz nett..." bis hin zu "Hätte ich nicht gebraucht", war auch hier alles dabei. Von welcher Autorin oder welchem Autor die Geschichte jeweils genau stammt, wird dabei nicht weiter markiert. Halte ich persönlich für eine gute Entscheidung, denn so entstanden keine Brüche im Text und die Handlung blieb ein großes Ganzes. Gleichzeitig wäre es aber für mich spannend gewesen, zumindest am Ende des Hörbuches eine Auflösung zu bekommen, wer denn nun für welchen Textteil verantwortlich war.

[SPOILER!]
Gerade zu Beginn dachte ich mir immer wieder, dass ich dieses Buch gerne im März 2020 gehört hätte. Denn hier wird die Stimmung, die ich damals ebenfalls wahrgenommen habe, gut einfangen und gleichzeitig, gibt es aber trotzdem noch Hoffnung und Trost für alle Beteiligten. Zumindest über weite Teile. Desto weiter hinten im Buch, desto unglaubwürdiger wurde die Geschichte dann leider. Mit dem Ende war ich persönlich leider richtig unzufrieden. Alle Figuren realisieren hier, dass sie gleich zu Beginn der Pandemie verstorben sind und sich tatsächlich in der Welt nach dem Tod befinden. Puh. Ihr seht, warum ich dieses Ende schrecklich finde? In diesem Ende bleibt meiner Meinung nach keinerlei Platz für Hoffnung und für ein gutes Ende der Pandemie. Außerdem finde ich ein solches Ende immer ein bisschen faul - vor allem, wenn es wie hier in nur wenigen Minuten abgehandelt wurde. Das wirkte auf mich leider so, als wären hier die Ideen ausgegangen und als hätten die Autor:innen einfach irgendeinen Weg gebraucht, um das Buch möglichst schnell abzuschließen und dabei alle noch offenen Fragen zu klären. Das wirkte auf mich leider einfach lieblos.

Mein Fazit? Wie bei vielen Anthologien variiert die Qualität der Geschichten. Über weite Teile mochte ich dieses Hörbuch - mit dem Ende war ich aber sehr unzufrieden. Insgesamt also leider nur mittelmäßig. 
Belladonna by Adalyn Grace

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3.0

Wie ihr euch sicher denken könnt, verfolge ich nicht nur die deutschsprachige Buch-Bubble mit großem Interesse. Englische Rezensionen lese ich genauso oft wie deutsche und inzwischen wage ich mich sogar an die ein oder andere italienische Kurzmeinung. So habe ich auch "Belladonna" entdeckt. "Belladonna" wurde gerade im Englischsprachigen Raum sehr gefeiert und dieser Hype scheint jetzt auch auf die deutsche Community übergeschwappt zu sein. War also klar, dass auch ich dieses Buch lesen muss, oder? Vor allem, weil ich ja im Laufe des letzten Jahres realisiert habe, dass ich immer mehr Bücher tatsächlich auch toll finde, die online gefeiert werden.

Bei diesem Buch kann ich mir aber nicht an die Lobeshymnen anschließen. Gleich zu Beginn: Es ist nicht so, als würde ich dieses Buch schrecklich finden. Ich war nur einfach... gelangweilt. Es hat mich nicht vom Hocker gerissen. Was super schade ist, denn ich liebe die Idee des Buches. Ich mag viele der Details, die hier eingebaut wurden zumindest in der Theorie. Signas tödliche Begabung ist ja total interessant! Daraus könnte man so unglaublich viel machen. Und auch der Kriminalfall, den Signa lösen möchte, ist eine spannende Idee. Aber mit der Umsetzung war ich nicht ganz zufrieden.

[Spoiler]
Ich glaube die meisten Probleme hatte ich mit der Romantik in der Geschichte. Das Love-Interest ist hier nämlich der Tod. Der Sensenmann. Eine Figur, so alt wie die Menschheit selbst. Signa ist 19. Der Tod hat sie kennengelernt, als sie zwei Monate alt war. Ekelhaft!
Und dann natürlich noch das Machtgefälle: Der Tod ist... der Tod. Er hat um einiges mehr Macht als sie und Signa könnte diese Liebe mit dem Leben bezahlen. Aber mal abgesehen davon: Der Tod blieb als Figur unglaublich blass und ich habe bis zum Ende nicht verstanden, was Signa in der Figur des Todes sieht. Warum er für sie mehr ist als nur eine Mentor-Figur. Denn das ist er definitiv. Aber woher das romantische und sexuelle Interesse? Was löste das aus? Ich weiß es einfach nicht. Weder auf optischer Ebene noch auf Ebene der Persönlichkeit oder des Verhaltens weiß ich nicht, warum sie den Tod so anziehend findet.

Auch mit dem Schreibstil wurde ich leider nicht warm. Das finde ich total schade, weil ich weiß, dass dieses Buch so viele Leute gefeiert haben.

Mein Fazit? Die Idee war super, aber die Umsetzung war leider nichts für mich. Schade.
Rauhnachtsfeuer: Eine Rauschberg-Geschichte by Christine Kulgart

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3.5

  
Endlich bin ich dazu gekommen und habe es gelesen: Das jetzt schon nicht mehr ganz so neue Buch aus dem Rauschberg-Universum von Christine Kulgart. Teil 1 - "Rauschberg" - durfte ich euch ja auf diesem Blog ebenfalls schon vorstellen. Tine kenne ich durch das Autor:innenkollektiv Schreibfeder persönlich, ich versuche aber, mich von diesem persönlichen Kontakt nicht beeinflussen zu lassen. Diesen Disclaimer baue ich aber trotzdem ein - ihr wisst ja, wie wichtig mir Transparenz ist.

Während es im vorherigen Buch von Kulgart um das Kennenlernen von Florian und Theo ging (die ich nach diesem zweiten Buch noch mehr shippe als zuvor schon - sorry, Tine!), ist die Freundschaft der beiden hier schon etwas weiter fortgeschritten. Die beiden kennen sich inzwischen schon recht gut - gut genug, dass Florian eingeladen wird, die Rauhnächte bei Theo und seiner Familie zu verbringen. Ich weiß, dass viele Leute an die Magie der Rauhnächte glauben - ich bin aber ohne diesen Glauben aufgewachsen. Das einzige Ritual, an das sich meine Familie hält, ist, dass wir während der Rauhnächte keine Wäsche im Freien aufhängen. Hauptsächlich weil wir die Vorstellung ekelhaft finden, dass sich darin Geister verfangen könnten. Aber abgesehen davon? Nichts. Ich wusste nicht, dass die Rauhnächte für irgendjemanden außer die Nachbarin meiner Eltern eine besondere Bedeutung hat. Tja, da wurde ich im letzten Jahr nicht nur durch dieses Buch eines Besseren belehrt. Während diese Zeit für mich der perfekte Zeitpunkt ist, um mir Weihnachtsfilme anzusehen, Kekse zu futtern und Bücher zu lesen, vollziehen andere magische Rituale und nehmen an verschiedenen Traditionen teil. Diese Traditionen hier mal kennenzulernen, war für mich sehr spannend und ich war überrascht, zumindest von manchen schon mal gehört zu haben. Ich hätte mir aber an manchen Stellen gewünscht, vielleicht noch etwas mehr in die Tiefe zu gehen. Mich hätte es zum Beispiel interessiert, warum die Familie an diesen Ritualen teilnimmt, denn andere in der Geschichte halten davon ja gar nichts. Ich bin mir sicher, dass das sogar an der ein oder anderen Stelle angesprochen wurde, aber trotzdem hätte ich da manchmal mehr Details gebraucht.

Christine Kulgarts Sprache hat mir wie auch in ihren anderen Texten gut gefallen. Ich habe das Buch in zwei kurzen Sitzungen durchgelesen und hatte damit auch meinen Spaß. Leider habe ich aber den ein oder anderen Fehler gefunden, der wohl noch übersehen wurde. Oder der bei mir halt einfach noch drin war - viele Autor:innen schicken bereits Leseexemplare aus, bevor die allerletzte Korrekturrunde abgeschlossen ist. Ich kann mir vorstellen, dass das auch hier passiert ist.

Mein Fazit? Nicht ganz fehlerfrei, aber trotzdem eine Lektüre, die ich gerne gelesen habe. 
The Lost Memory Project by Alexis Hall

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2.0

 
Da es bei mir gerade wieder zu schneien begonnen hat, schreibe ich einfach mal eine Rezension zu einem der Weihnachtsbücher, die ich dieses Jahr gelesen habe. Auch wenn ich zugeben muss, dass mich das Weihnachts-Setting hier doch eher überrascht hat. Immerhin weißt nichts in Klappentext oder auf dem Cover darauf hin, dass es hier um Weihnachten gehen könnte. Das könnte man vielleicht bei der nächsten Auflage noch ergänzen, denn ich bin sicherlich nicht die einzige, die es gestört hätte, von dieser Zeit zu lesen, wenn sie das Buch im Hochsommer aufgeschlagen hätte.

Ich habe auch bereits "Boyfriend Material" und "Husband Material" des Autoren gelesen. Und war von beiden gut unterhalten, auch wenn mir vor allem "Husband Material" zwiegespalten zurückgelassen hat. Ich möchte ehrlich mit euch sein: Auch wenn ich das Buch lustig und unterhaltsam fand, hielt ich die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten in beiden Büchern nicht für gesund. Deswegen war ich umso gespannter darauf, ob ich das gleiche Problem auch hier wieder haben würde.

In "The Lost Memory Project" habe ich sehr viele Elemente aus den anderen Büchern des Autoren wiedererkannt. Da wäre zum einen die Namensgebung der Figuren ("der übereifrige neue Chris") und das Verhalten der Nebencharaktere, die oft überzeichnet, aber genau deswegen lustig und liebenswert waren. Wie auch bei den anderen Büchern habe ich auch dieses gerne gelesen und fand gerade zu Beginn vieles lustig. Ich habe mich über weite Teile gut unterhalten gefühlt und das ist ja etwas definitiv Positives.

Die Ähnlichkeit geht aber leider auch in eine weniger positive Richtung. Auch hier halte ich die Protagonisten für überhaupt nicht kompatibel. Die beiden bringen die schlimmsten Charaktereigenschaften des jeweils anderen zum Vorschein. Sie mögen sich die meiste Zeit des Buches nicht mal! Jonathan ist ein ziemlicher Arsch und das ändert sich auch im Laufe des Buches nicht wirklich. Irgendwann scheint Sam das halt einfach nicht mehr wirklich zu stören. Der Umschwung von "Sam hasst Jonathan" zu "Sam liebt Jonathan" passierte dabei ordentlich schnell - für mich fast zu schnell. Sam wiederum lügt Jonathan das ganze Buch über an. Die Lüge wird erst so zehn Seiten vor Schluss aufgeklärt - was mir persönlich einfach zu spät war. Denn so entstand nicht unbedingt die ideale Grundlage für eine gesunde Beziehung und alles musste sehr schnell abgehandelt werden. Ich wartete ständig darauf, dass jetzt alles aufkam und die Beziehung zerbrach, damit die beiden neu zueinander finden könnten und sich dieses Mal in die Wahrheit verlieben könnten. Aber das ist leider nicht passiert und ich wurde auch nie so wirklich warm. Am Ende habe ich mir dann eigentlich sogar gewünscht, dass die Beziehung vielleicht einfach zerbricht und beide feststellen, dass sie ohne Partner besser dran sind.

Allerdings hatte ich auch mit Sam so ein bisschen meine Probleme. Er ist unglaublich gutherzig - aber das war für mich leider oft nicht komplett glaubwürdig. Denn gleichzeitig konnte Sam auch ordentlich austeilen und war gegenüber von Jonathan teils auch richtig gemein. Sam kann nicht mit Geld umgehen, ist keine Führungsperson und ich habe mich oft gefragt, wie es denn dazu kam, dass er die Filiale leiten durfte. Denn er wirkt auf mich nicht so, als würde er die notwendigen Kompetenzen mitbringen. Ich meine: Er hat einen Mitarbeiter, der dafür bekannt ist, die Ausstellungsstücke zu beschädigen. Da scheint fast täglich was zu passieren. Es tut mir ja echt leid, aber der würde nicht lange für mich arbeiten. Vielleicht macht mich das zu einem schlechten Menschen, denn der Angestellte braucht das Geld, um seine Oma zu pflegen, aber hallo? Da verstehe ich Jonathan und seine Aufforderung an Sam, diesen Mitarbeiter endlich zu feuern.

Auch hatte ich bei diesem Buch ein bisschen das Problem, dass nur sehr wenig passiert. Meiner Meinung nach hätte man ohne große Änderungen an der Handlung auch einfach hundert Seiten kürzen können. Hört sich hart an, ich weiß. Aber für mich persönlich war das Buch für so wenig Handlung und Entwicklung leider einfach zu lange.

Mein Fazit? Gerade der Beginn war echt gut und ich mag auch den Humor des Autors. Auch die Nebenfiguren waren mir sympathisch. Mit den beiden Protagonisten und ihren Liebesgeschichten konnte ich allerdings leider weniger anfangen. 
How to Make Friends with the Dark by Kathleen Glasgow

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5.0

 
Wenn ich als Jugendliche mit meinen Freund:innen über unsere größten Ängste gesprochen habe, war das Gespräch danach meistens schnell zu Ende. Während andere mir erzählten, wie groß ihre Angst vor Spinnen oder Höhen oder Clowns war (was ja alles in Ordnung ist, vor allem in diesem Alter - Ängste kann man nicht steuern), war meine größte Angst schon immer, Menschen zu verlieren, die mir nahestehen. Wahrscheinlich ist das die größte Angst von sehr vielen Menschen, aber die meisten sprechen das meiner Erfahrung nach mit 13 oder 14 Jahren (also in dem Alter, in dem solche Gespräche geführt werden) nicht so aus. Für einige glückliche ist das in dem Alter auch noch gar nichts, über das sie bisher besonders viel hätten nachdenken müssen. Während ich mit 13 Jahren schon zweimal um jemand hatte trauern müssen, lerne ich auch heute mit Mitte 20 noch Menschen kennen, die noch nie jemanden verloren haben. Die Glücklichen. Ich wünsche ihnen, dass das noch sehr lange so bleibt. 
Auf jeden Fall: Allein schon der Gedanke, dass jemand, den ich liebe, sterben könnte, bringt mich fast dazu, los zu weinen. Deswegen bin ich mit Büchern, in denen es um den Tod von Menschen geht, die den Hauptfiguren nahestehen, immer auch sehr vorsichtig. Immerhin werde ich in solchen Büchern mit meiner großen Angst konfrontiert und das ist meistens nicht besonders schön. Dieses Buch habe ich dann aber trotzdem gelesen. Warum? Das weiß ich selbst nicht so genau. Manchmal bekomme ich so ein Bauchgefühl, dass ein Buch genau jetzt richtig ist für mich und ich habe gelernt, auf dieses Bauchgefühl zu lernen. Denn meistens liege ich damit richtig.
In diesem Buch geht es um die junge Tiger. Sie und ihre Mutter stehen sich sehr nahe, funktionieren wie eine gut geölte Maschine. Sie sind immer füreinander da und so wird das auch immer bleibe, ist sich Tiger sicher. Immerhin brauchen sie einander, denn beide haben sonst keine Familie. Kein Vater, keine Großeltern, keine Geschwister. Da sind nur Tiger und ihre Mutter. Und sie lieben sich, auch wenn Tiger natürlich manchmal genervt von der Zuneigung von ihrer Mutter ist. An dem Tag, an dem das Buch beginnt, kommt es zum ersten Mal in Tigers Leben zu einem richtigen Streit zwischen ihr und ihrer Mutter. Ihre Mutter wollte ihr verbieten, zum Schulball zu gehen - und anschließend hat sie Tiger als "Entschuldigung" ein Ballkleid gekauft, das Tiger schrecklich findet. Der Streit endet damit, dass Tiger ihre Mutter über ihr Telefon hin anschreit, dass sie sie doch endlich in Ruhe lassen solle. Und statt rechtzeitig nach Hause zu gehen, trifft sie sich mit dem Jungen, in den sie verliebt ist. Ein Verhalten, wie man es von Teenagern kennt, oder? Nichts Besonderes. Nichts besonders Dramatisches. Doch wenige Stunden später ist Tigers Mutter tot und Tiger bereut alles, was sie getan und gesagt hat. Und plötzlich ist sie auf sich alleine gestellt, muss lernen, mit ihrer Trauer umzugehen, und wird von Pflegefamilie zu Pflegefamilie geschoben und steckt plötzlich in einem System fest, das ihr komplett fremd ist. Und in das sie auch gar nicht gehört, findet Tiger. Denn ihre Mutter hat sie geliebt, sie wurde nie geschlagen, nie vernachlässigt, sie kann nichts von den Dingen nachvollziehen, die die anderen Pflegekinder der Familien erlebt haben.
Für Tiger ist nichts mehr so, wie sie es kannte. Und sie versinkt langsam, aber sicher, in einer Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit, die für mich als Leserin nur schwierig auszuhalten war. Also, Leute: Lest dieses Buch bitte unbedingt nur dann, wenn es euch gerade psychisch gut geht. Und beachtet unbedingt die Triggerwarnungen zum Buch. Ich habe während dem Lesen viel geweint und musste das Buch zwischendurch sogar zur Seite legen, weil ich die Worte nicht mehr entziffern konnte. Ich weiß, dass ich bei einem Buch weine, ist nicht mehr unbedingt eine Seltenheit (verdammt, bin ich über die letzten Jahre weich geworden!), aber so stark? Das kommt dann doch nicht unbedingt oft vor.
Tiger tat mir so unglaublich leid! Aber gleichzeitig hat es die Autorin geschafft, Tiger tatsächlich als eine Person darzustellen und nicht nur als ein Gefühl. Sie ist ein unglaublich komplexer Mensch und das auch schon vor der Trauer. Und während der Trauer macht Tiger eine unglaubliche Entwicklung durch, die ich diesem Buch gar nicht zugetraut hätte. Tiger weiß nicht, wie man trauert und das merkt man auch. Sie hat mit ihren Gefühlen zu kämpfen, weiß nicht, wie sie das Erlebte verarbeiten kann (oder ob das überhaupt möglich ist) und ist einfach komplett im Überlebensmodus. Sie verarbeitet ihre Trauer auf eine Art, die nicht unbedingt gesund ist und das ist ihr meistens auch bewusst - aber sie weiß sich auch nicht anders zu helfen. Und ganz ehrlich? Ich finde das gut! Trauer ist unglaublich schmerzhaft und ein chaotisches Gefühl, das eigentlich kein Gefühl ist, weil es aus vielen unterschiedlichen Gefühlen bestehen kann. Jeder Mensch trauert anders und man muss eigene Mechanismen entwickeln, um nicht durchzudrehen und irgendwie weiterzuleben. Und Tiger entwickelt solche Mechanismen. Ihre Mechanismen sind nicht unbedingt gesund - aber trotzdem glaubwürdig. Und das war mir persönlich viel wichtiger. Was bringt es irgendjemanden, über einen Menschen zu lesen, der perfekt trauert, wenn es sowas überhaupt geben sollte? Ich denke, dass dieses Chaos, das man in diesem Buch findet, für Jugendliche und junge Erwachsene, die vielleicht selbst zum ersten Mal mit Verlust umgehen müssen, um einiges tröstender sein kann. Vor allem Tigers Gedanken über die Aufforderung, dass sie jetzt "ganz stark" sein müsse, die alle Erwachsenen in ihrem Leben ihr plötzlich sagen, fand ich gut und spannend. Ganz ehrlich: Gerade bei Themen wie Trauer und Verlust sollte man auf Phrasen verzichten. Phrasen sind nutzlos. Wenn ihr nicht wisst, was ihr sagen könnt, dann sagt doch bitte einfach genau das. Ist meiner Meinung nach besser als wenn ihr einem Trauernden sagt, dass ihr geliebter Mensch jetzt "an einem besseren Ort" sei oder dass er:sie:they jetzt "ganz, ganz stark" sein und "einfach weitermachen" müsse. Tigers Trauer und ihre Reaktion darauf waren glaubwürdig und das machte das Buch für mich als Leserin nochmal schmerzhafter.
Mein Fazit? Wie ihr merkt, hat mich das Buch sehr berührt. Ich kann euch also die Lektüre aus ganzem Herzen empfehlen. Wenn ihr psychisch stabil seid und aktuell etwas Trauriges lesen wollt, dann lest dieses Buch!