jonathanelias's reviews
123 reviews

Träumen: Roman by Karl Ove Knausgård

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5.0

Nach der Jugend; der lange unerfolgreiche Weg zum Schriftsteller (z.B. Akademie der Schreibkunst)
Lieben by Karl Ove Knausgård

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5.0

Hat am ehesten mit meinem jetzigen Lebensabschnitt zu tun und damit sehr nahegehend. 
Leben by Karl Ove Knausgård

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5.0

Fast noch mehr gesuchtet als das erste. Es geht um seine Jugend, 16-18. Ich liebs einfach. 
Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss by László Krasznahorkai, Christina Viragh

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Did not finish book.
4 Seiten gelesen - warum hab ich mir das überhaupt ausgeliehen? Reizt mich überhaupt nicht thematisch. Es muss um Menschen und Emotionen gehen! 
Baron Wenckheims Rückkehr by László Krasznahorkai

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Did not finish book.
Stilistisch gewöhnungsbedürftig, aber auch einen ganz eigenen Sog entwickeln, und die Charaktere werden sehr plastisch, es hat auch seine subtile Komik/Absurdität.  

Mmh.. irgendwie schwindet die Motivation. Dieses Interpunktionslose ist einfach ermüdend und monoton, gerade in Dialogen wirkt es forciert. Warum kann der nicht einfach normal schreiben. Das Sujet ist auch nicht sonderlich packend, die Hauptfigur 🤷‍♂️, warum soll ich mich für einen 80jährigen, merkwürdigen Alten interessieren.  

Etwas später: naja. Diese paragraphweisen Perspektivwechsel sind schon was besonderes, wie ein moderner Film. Aber ein Film könnte das nicht. Das Innenleben dieser diversen Figuren. Sehr sensibel.  

Kann mich aber jedes Mal nicht so wirklich überreden, zu dem Buch zurückzukehren. Das Sujet ist irgendwie mir so .. egal, die Charaktere zu fernab. 
Londyn NW by Zadie Smith

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5.0

In 4 Tagen durchgeballert. Große Schrifstellerin, gewisse Parallelen zu Jennifer Egan und Helen deWitt. Stilistisch vielschichtig. Dreidimensionale Figuren, die einem Nahe kommen. Die Autorin "verschwindet", komplett im Gegensatz zu Houllebecq, wo die Figuren ja nur Sprachrohr sind. 
Anderer Eindruck in White Teeth.. 🤷‍♂️ 
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2014 
"London NW" greift weiter aus, und der Roman ist vor allem formal ambitionierter: In fünf Teilen erzählt Smith von vier Londonern zwischen dreißig und vierzig, die alle im selben ärmlichen Viertel zur Schule gegangen sind. Da ist Leah, die Sozialarbeiterin geworden ist und mit ihrem Mann, dem Friseur Michel, nicht weit entfernt der alten Heimat wohnt. Dann die Rechtsanwältin Natalie, die sich den Aufstieg in die Oberschicht hart und, wie es scheint, widerwillig erkämpft hat. Felix, der von einer Filmkarriere träumte und eine Drogensucht überstanden hat. Und schließlich Nathan, ehemals Schulschwarm und angehender Profifußballer, heute Junkie, Dealer und Zuhälter. Drei Teile des Romans sind jeweils aus der Perspektive von Leah, Felix und Natalie erzählt, ein vierter berichtet von einer langen Begegnung zwischen Natalie und Nathan, der fünfte schließlich führt die ausgelegten Fäden zusammen. Jeder dieser Teile ist unterschiedlich geschrieben, auch die erzählte Zeit umfasst mal einen einzigen Tag, mal ein ganzes Leben, und zwischen durchaus konventionelle narrative Passagen stellt die Autorin immer wieder die Abbildung eines Bewusstseinsstromes und durchsetzt die Gedankenkaskaden gern mit Fetzen aus dem Geschnatter der anderen - nicht nur dort erweist sie Joyce' "Ulysses" ihre Reverenz, und dass man Londons Stadtteil Kilburn ebenso wie Dublin anhand von aneinandergereihten Gerüchen und Geräuschen bestens evozieren kann, zeigt sie auch. [...] Eindeutigkeit ist in diesem Geflecht aus Erzählungen nicht zu haben, auch nicht Urteile der Autorin in den Fragen, die ihre Protagonisten bewegen. Stattdessen stellt sie Lebensentwürfe dar, intelligent und witzig, poetisch und voller Sinnlichkeit, und weil ihre Verweise zwischen den Protagonisten und zwischen den einzelnen Teilen des Buchs so stilsicher wie diskret sind, ist die erste Lektüre des Romans aufregend, die zweite erhellend und die dritte voller staunenswerter Details, die man zuvor übersehen hatte.

Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2014
 
Kaum länger, so fühlt es sich an, als ein Doppeldeckerbus braucht, die Kilburn High Road zu durchmessen, dauert es, den neuen Roman von Zadie Smith durchzulesen. Das Buch, das in dieser Gegend spielt, in der die Autorin aufgewachsen ist, und das nach dem postalischen Kürzel des Nordwestens der Stadt „NW“ benannt ist, dieses Buch ist sehr kurzweilig. Das liegt nicht bloß an der Haltlosigkeit seines Personals und an dessen immer wieder wechselnder Scharfstellung, die dem Tempo und der Vielstimmigkeit der Großstadt folgt. Es liegt auch am narrativen Stil im Einzelnen: weniger sanft fortlaufende Erzählprosa wie in Smiths früheren Büchern, schnelle Assoziationen und Schnitte, ein Stakkato der Eindrücke, der kurzen Sätze, Dialoge und Einzelszenen, eine wilde Mischung aus Literatur- und Straßensprache. Daraus wird beim Lesen aber kein Holpern und Stolpern, sondern ein Flow.
Oder auch in 185 klar abgetrennten Kapiteln, in denen Natalies Leben regelrecht abgearbeitet wird – je nach Wahl der Autorin durch seitenlange Schilderungen, einzelne Sätze oder aber in Gedichtform: „Das ist einfach eine Art von Realismus. Wenn ich wirklich beim Schreiben ausdrücken wollte, wie es in meinem Kopf aussieht im Gegensatz zu dem, was in anderen Köpfen vorgeht – man kann sich einfach sehr schwer vorstellen, wie das dann auf dem Papier aussehen würde. Denn da sind verschiedene Welten in unseren Köpfen und die meisten Romane ignorieren diese Tatsache einfach. Aber beim Schreiben sollte man das auf jeden Fall beachten. Auch damit der Stil am Ende etwas Unzusammenhängendes bekommt. Und das passt auch wieder zu dem, was man erlebt, wenn man durch eine Großstadt geht. Vor allem in London kannst du nie wissen, was dich an der nächsten Ecke erwartet und musst dich immer wieder neu zurechtfinden

White Teeth by Zadie Smith

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3.0

Mmmh - so riiichtig in n Flow komme ich nicht. Entwickle keine richtige emotionale Beziehung zu den Charakteren. Das Satirisch/Slapstickige ist irgendwie nicht so ganz mein Fall. Treffende Goodreads Kommentare: 
As many other reviewers have commented, I wanted to like this book more than I did. It approached greatness in many ways---the clever and often hilarious dialogue, the quirky characters, the creative family histories, the rich and convincing place descriptions, and so on. Despite the strengths of each of these parts, as a whole the book fell far short of greatness. It took me until the final pages to figure out what was missing for me: I did not genuinely care about most of the characters. I did not feel sympathy for them, or root for them, or have my own ideas of how I hoped things would turn out.

This is likely due to the many, many story lines at play in the novel (story lines that span a hundred years in some cases). But it still felt unacceptable to me that the book begins with one of the most intimate moments a person can experience (though it is treated with humor) and closes with an equally major event in the life of that same character, yet we hardly KNOW this character. He is a central presence on page one and the final page, but he is lost in between. While I laughed at Joyce Chalfen, Alsana, Abdul-Mickey, Magid, Hortense, and a dozen more amusing and creative characters, I felt no emotional connection to them at all."

"Zadie Smith's omniscient narrator, alas for me, has an air of horrible smirkiness, like a friend who just can't help pointing out all the less than pleasant attributes of everyone else, all in the name of life-affirming humour, allegedly, but gradually wearing you down. Didn't anyone get sick of this apart from me? I hear this kind of humour in current British comedy all the time. When it's cranked up to the max and runs at 200 miles an hour, it's great, as in the recent political satire movie In the Loop (recommended) but when it's on a low leisurely level, as in a big sprawling novel, it just gets on my wick. It might be a symptom of the cultural cringe I discuss a propos The Age of Elegance - British writers can no longer take their country and culture that seriously, they feel somehow that it's just not very cool and so their default attitude is self-deprecation. You don't get this in big novels about modern America - "American Pastoral", "We Were the Mulvaneys" and "The Corrections" and "Freedom" spring to mind. Franzen, for instance, uses humour all the time and excoriates large areas of American society, but there's no perpetual undermining of his own characters for the sake of inexpensive laughs.

But then there are the 'just-roll-with-it' parts which deserve no more than 2 stars - the cocksure and smug tone in which the narrator recounts this multi-generational saga of families caught in the chaos of modern day materialism vs heritage, the unrealistic, often two-dimensional characterization and the zany Britcom feel to the episodes which warrants a suspension of disbelief and gives rise to the nagging suspicion that this was written with the idea of a film or tv series adaptation in mind.

Homo Faber by Max Frisch

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5.0

Was für ein tolles Buch. Liebe den Stil. Sehr bewegt von der Geschichte. Gänsehaut.
Bleeding Edge by Thomas Pynchon

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Did not finish book.
S148 - muss mich jedes Mal wieder ranpeitschen. Dieser super raffinierte ironische Tonfall gepaart mit comichaften Charakteren.. Gegenentwurf zu Knausgard, wo es um die ernsthafte, echte Gefühle geht, seelisches Innenleben. Davon ist ja nix da, da geht es irgendwie um Zeitgeist, Popkultur. 
Ich tue mich natürlich auch schwer mit diesem magisch verschwurbelten DeepWeb.  
Thomas Pynchons Thriller "Bleeding Edge" spielt in einer düsteren, cyberpunkigen Welt, die eigentlich unsere nicht allzu ferne Vergangenheit ist, das Jahr 2001, kurz vor und kurz nach dem elften September, berichtet Ronald Düker. Die Betrugsermittlerin Maxine Tarnow stößt auf die Machenschaften einer Organisation namens hashslingrz, die offiziell in Computersicherheit macht, aber eng mit einer islamistischen Terrorgruppe und dem amerikanischen Sicherheitsapparat zusammenarbeitet und jede Menge Geld in dubiosen Start-Ups wäscht, fasst der Rezensent zusammen. Die Welt, in der Maxine sich hashslingrz-CEO Gabriel Ice stellen muss, wird dominiert von Big-Data und Algorithmen, wobei sich "das Eigenleben der Programme" längst jeder Kontrolle entzieht, erklärt Düker. Aber: "Romane sind keine Welterklärungsapparate" und Pynchon kein Freund klarer Verhältnisse, weiß der Rezensent, deshalb sollte man in diesem Buch nicht auf eine vollständige Auflösung hoffen, verrät Düker.
Vernichten by Michel Houellebecq

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1.0

Der Typ ist rechts.. reaktionär, das Frauenbild etcpp. 
Der Hauptcharakter ist apathisch, baut keine große sympathie auf. 
Die Frauen existieren nur um sich um ihre Männer zu kümmern. 
Die Charaktere sind Schablonen, mit denen der Autor diverses philosophisches Schwadroniere channelt. 
Der nicht-Stil ist so dröge.. nach Updike und Franzen der komplette Kontrast.  
So richtig auf die Schliche kommt sich Paul nicht. Mit sich anzufangen, weiß er noch weniger. Das Mechanische seiner Existenz, das Funktionieren, entlädt sich in einem fahrigen Erzählstil, in welchem sich die verschiedenen Handlungsstränge nicht vereinen lassen noch vereinen lassen wollen. Es gibt die Präsidentschaftswahl, die Terroranschläge mit digitaler Ankündigung, die den Sicherheitsdienst in Pauls Leben eindringen lassen, die Krankheit von Pauls Vater, die die Familie wieder zusammenbringt. Das eine wie das andere bleibt jedoch lose aneinandergeheftet und ohne innere Kohärenz, 

Die Kraft und die Puste geht dem überlangen und überladenen Roman von Seite Eins an aus. Die Traumsequenzen unterlaufen jede surrealistische Kraft. Die Handlungsknoten bleiben unaufgelöst. Die Symbolik durchschaubar. Die Einfallslosigkeit dümpelt traurig von Schlagwort zu Schlagwort weiter. Worte um Worte werden wie ein Netz ausgeworfen, kommen leer und trostlos zurück, transportieren lediglich Traurigkeit, Ödnis, eine gebrochene Form des Erschöpften und Vergeblichen mit sich. Paul Raison entpuppt sich als humorloser Dependant Emile Ciorans, der 1963 über sich selbst schrieb: 
„Meine alte Zwangsvorstellung: mit allen zu brechen, mich in eine Höhle zurückzuziehen … Ah! Wenn ich nicht die Kälte fürchtete, ich weiß, ich hätte den Mut alles umzuwerfen … Meine Schwächlichkeit macht mich schlaff und verpflichtet mich zu allem Zugeständnissen.“ 

Emile M. Cioran aus: „Notizen 1957-1972“ 
Kein Wunder, dass am Ende nur Dunkelheit herrscht und die körperliche Nähe nur noch dazu dient, das Ideal der Kantischen Idee der Ehe zu verwirklichen: 
„Hündchenstellung und Missionarsstellung waren zwar nicht denkbar und würden es wohl auch in Zukunft nicht sein, doch die Rückkehr in die Seitenlage sorgte für genügend Glücksmomente, nach dem Orgasmus schlief er ein, hielt sie aber weiter in den Armen, er schlief vielleicht eine oder zwei Stunden, dann wachte er auf, bekam wieder einen Steifen und drang sofort in sie ein, um danach erneut einzuschlafen, und nach einer oder zwei Stunden begann der Kreislauf von Neuem, sie war fast durchgehend feucht. Das war eine ideale und perfekte Lebensform, die wenig finanzielle Mittel erforderte.“ 

Michel Houellebecq aus: „Vernichten“ 
Michel Houellebecq versäumt seinen eigenen Roman, gibt ihm keine Richtung und lässt das Werk als begonnenes zurück, bruchstückhaft, ein Trümmerhaufen, ungeliebt, verwahrlost, nicht fertig gesponnen oder durchgeformt. Es wurde herunter geschrieben, wie ein langer Abschiedsbrief zu einem kurzen Ende. Ihm fehlt das Geheimnisvolle, die Zwischentöne, die Einsamkeit in der Bedeutungssuche einer poetisch-erfassten Unmittelbarkeit  
Über Michel Houellebecq müssen nicht viele Worte verloren werden. Zu bekannt, zu verehrt, zu kritisiert, über den Klee gelobt, beinahe gefürchtet und doch immer wieder gerne zitiert, dass man schlicht vergisst, dass es sich um einen Schriftsteller handelt, der sich lediglich in die französische Literaturtraditionen einzuordnen versucht. Es ist ihm bislang aus vielen Gründen nicht überzeugend gelungen. Die Beobachtungen blieben stets zu schlicht, der Stil zu journalistisch, die Sprache zu einfach, die Form beliebig. Houellebecq musste deshalb in der Vergangenheit stets schockieren, um auf sich aufmerksam zu machen. In „Vernichten“ schockiert er nicht mehr. Er lamentiert zusammen mit seinem Protagonisten Paul. 
„Dabei war er [Paul] in diesen Büros nie sehr glücklich gewesen, zumindest nicht vor seiner Begegnung mit Bruno, aber es ist nicht die Tatsache, dass man an einem Ort glücklich war, der die Aussicht, ihn zu verlassen, schmerzhaft werden lässt, sondern allein die Tatsache, ihn zu verlassen, einen Teil seines Lebens hinter sich zu lassen, mag er auch noch so bedrückend oder gar unangenehm gewesen sein, zu sehen, wie er sich im Nichts auflöst; mit anderen Worten, es ist die Tatsache, dass man älter wird.“ 
Die Sätze, ineinander geschachtelt, bleiben dennoch blass. Der Stil findet keine Tiefe, keinen Schwung oder Rhythmus wie beispielsweise Marie NDiaye in „Die Rache ist mein“, noch beweisen sie Humor und Einfallsreichtum wie Hervé Le Tellier in „Die Anomalie“, von einem Weitblick wie Claude Simons durchkomponiertes Alterswerk „Die Trambahn“ aus dem Jahre 2001 ganz zu schweigen. „Vernichten“ bleibt ein Werk des Abschieds, ein ungeliebtes Kind, das zwischen allen Stühlen sitzt, das politisch sein will, tragisch enden möchte, aber dennoch, weil, alles zu wollen, meist darin endet, nichts von alldem zu erreichen, wie ein Kartenhaus unter der eigenen Last zusammenbricht. Viele Passagen wirken deshalb unbeholfen, fast wie ein Lebens- und Ernährungsratgeber. 
„Alkohol ist eine paradoxe Sache: Während er einem manchmal ermöglicht, seine Ängste zu beherrschen und alles in einem trügerischen optimistischen Licht zu sehen, hat er manchmal die umgekehrte Wirkung, die Hellsicht und damit die Angst zu vergrößern; die beiden Phänomene können einander im Übrigen innerhalb weniger Minuten abwechseln.“ 
Von Geistesblitzen bleibt man genauso verschont wie von Schockmomenten, oder allzu krasser politischer Unkorrektheit. Ein Autor, der müde geworden ist, spricht, säuselt, ja träumt, wie er sich das Ableben wünscht, wie er sich zu leben vorgestellt hat und zu sterben vornimmt, verwöhnt, versorgt, umgarnt von einer liebenden fürsorglichen, selbstlosen Frau. In seinem alten Kinderzimmer von Trinity aus „Matrix“ träumend, erkennend, dass er seine Ehefrau Prudence nach dem Aussehen und der Ähnlichkeit mit Carrie-Anne Moss gewählt hat, fällt ihm zu sich selbst nicht mehr viel ein und regrediert zunehmend schamloser. Die interessantesten Passagen bilden unmotivierte Traumsequenzen, die leider keine sprachliche Eigendynamik entwickeln können, da sie überreflektiert vom Erzähler selbst interpretiert werden, um im vorauseilenden Gehorsam surrealistische Vereinnahmungen zu verhindern. 
„In einem Fernsehstudio versucht ein alter, kleiner, kahlköpfiger und leicht unförmiger Mann eine Sendung zu retten, indem er Scherze macht, aber es gelingt ihm nur bedingt, und so beschließt er, die Hose auszuziehen, bevor er durchs Bild läuft (man erkennt sofort sein großes, schlaffes, blasses Geschlecht). Dann sieht man, wie er in einem der Abflussbecken treibt.“ 
Der Roman „Vernichten“ ist zu lang und äußert schlecht, fast hastig komponiert. Es lässt sich anfangs nicht entscheiden, ob es sich um einen Politthriller, ein Familiendrama, einen High-Tech-Krimi oder schlicht um einen Ehekrisen-Roman handeln soll. Am Ende ist es nichts von allem. Die vielen Handlungsstränge, die eingeführt werden, finden nirgendwo einen Abschluss. Alles bleibt in der Luft hängen, und am Ende des Romans ist nur noch von Paul und seiner Ehefrau Prudence die Rede, als gäbe es die annähernd zwölf Figuren nicht mehr. 
Michel Houellebecq schien mehrere Bücher zugleich im Kopf zu haben. Das Produkt bleibt deshalb unausgegoren und farblos, unentschieden, im Niemandsland hängen. Houellebecq hat offensichtlich (auch nach eigenen Aussagen, siehe Nachwort) die Flinte ins Korn geworfen. Ihm ist bereits vor dem eigenen Alterswerk scheinbar der Atem ausgegangen, aber vielleicht leben Totgesagte ja tatsächlich länger.  
Lars Henk: Pauls theologische Reflexionen – vor seiner Krankheit – finde ich wiederum ausgesprochen toll: In seinen Überlegungen ist Gott ein Kerlchen mit übersteigertem Narzissmus, der sündige Menschen erschafft, um sie dann als barmherziger Erlöser retten zu können, das gefällt mir. (lacht) Qu’en dis-tu? 
Lea Sauer: (lacht) Sehe ich ähnlich, auch wenn ich es als etwas zu sehr übergestülpt empfand. Die meisten dieser Überlegungen beginnen damit, dass Paul ein Buch zur Hand nimmt und daraus, naja, referiert. Ich nenn's mal 'inneres mansplaining'. Ich finde, da hätte Houellebecq auch eher auf einer metaphorischen oder subtileren Ebene mit den Referenzen spielen und darauf vertrauen können, dass die Leser die Bezüge schon verstehen werden. Vielleicht wirken aus diesem Grund die Figuren auch so unausgearbeitet. 
Lars Henk: Also so ein bisschen schema-F-like? 
Lea Sauer: Ja, genau. 
Lars Henk: Ich kann verstehen, dass dir die Charaktere zu eindimensional sind, weil sie nahezu auf einen Charakterzug festgelegt werden. 
Lea Sauer: Es erfolgt kaum eine psychologische Durchdringung, die Charakterisierung erfolgt fast ausschließlich über Äußerlichkeiten oder die Marker, die für eine entsprechende 'Rolle' am offensichtlichsten sind. Deshalb kann ich auch den Sexismus- und Rassismusvorwurf, der an Houellebecq manchmal herangetragen wird, verstehen. Oft wird zur Charakterisierung nämlich die Ethnie als erstes Beschreibungsmerkmal genannt, beziehungsweise dementsprechend bei Frauen ihr Äußeres, als wäre das das Einzige, was sie ausmacht. Oft spielt das dann für die Handlung überhaupt keine Rolle. Wenn zum Beispiel selbst bei einem Arzt, der eine absolute Nebenrolle einnimmt, erst einmal eine seitenlange Reflexion Pauls dargestellt wird, woher dieser Arzt wohl kommen mag, aus Syrien oder doch aus dem Maghreb, nur um dann abschließend festzustellen, Paul wäre das ja sowieso im Grunde vollkommen egal, frage ich mich schon: Warum dann diese Ausführungen? Wer spricht da überhaupt: Der Erzähler? Der Autor? Oder ist es doch einfach die Wiedergabe von Pauls Gedanken? Ich glaube, der Eindruck Houellebecq sei rassistisch oder sexistisch entsteht vor allem durch solche Beschreibungen, die im Prinzip für Handlung und Figurenzeichnung vollkommen irrelevant sind.