travelartandbookblogger's reviews
80 reviews

Elchtage by Malin Klingenberg

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5.0

Elchtage von Malin Klingenberg, einer Autorin aus der schwedischsprachigen Minderheit in Finnland, ist ein wundervolles Jugendbuch, in dessen Zentrum zum einen das Erwachsenwerden, zum anderen die Liebe zur Natur stehen.



Johanna ist 16 Jahre alt und geht mit ihrer besten Freundin und Nachbarin Sandra in eine Klasse. Nach den Sommerferien ist jedoch nichts mehr so, wie es zwischen den beiden war. Während Sandra sich lieber an eine Mädchenclique hängt, ist Johanna weiterhin ganz fasziniert von der Natur und den Wäldern Skandinaviens. Die meiste Zeit bringt sie in einer Hütte im Wald beim Beobachten der beiden, von ihr Wildstern und Gun-Maj getauften, Elchkühe, die sie mit Popcorn füttert, zu. Außerdem träumt sie davon, auf einem Elch zu reiten.



Das Buch schildert, wie wichtig es für die Menschen ist, in Einklang mit der Natur zu leben, kritisiert deren Ausbeutung, stellt aber gleichzeitig auch dar, dass Extremismus nie eine gute Lösung ist.



Die typischen Elemente eines Jugendbuchs - das Erwachsenwerden, die erste Liebe, Freundschaft - werden ebenfalls sehr authentisch und unterhaltsam thematisiert. Auch wenn ich nicht mehr jugendlich bin, habe ich die Lektüre sehr genossen und ich kann mir vorstellen, dass sowohl jung als auch alt, egal welchen Geschlechts, Freude daran finden kann.
Kim Jiyoung, geboren 1982 by Cho Nam-joo

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5.0

Kim Jiyoung, geboren 1982 von Cho Nam-Joo ist die unfassbare und unerhörte Geschichte der Frau im 21. Jahrhundert.

Es macht mich so wütend und fassungslos, wie Frauen weltweit unterdrückt und ausgebeutet werden. Die Missstände Südkoreas - unterlegt durch glaubwürdige Quellennachweise - sind mit Hilfe einer chronologischen Abfolge ihrer Lebensabschnitte eingewebt in das persönliche Schicksal von Jiyoung.

„Kim Jiyoung ist ein Mädchen, dessen Großeltern sich einen Jungen gewünscht hatten. Kim Jiyoung ist eine Tochter, deren Vater sie dafür verantwortlich macht, wenn sie belästigt wird. Kim Jiyoung ist die perfekte Angestellte, und sie wird trotzdem nicht befördert. Kim Jiyoung ist eine Ehefrau, die ihren Beruf aufgibt für ein Leben als Hausfrau und Mutter. Kim Jiyoung benimmt sich plötzlich seltsam. Kim Jiyoung ist verrückt. Kim Jiyoung ist wie jede Frau.“

Damit Brüder studieren gehen können, müssen Schwestern buckeln und zurückstecken. Frauen müssen neben Haushalt und Kindererziehung noch Schwarzarbeit wuppen, weil das Geld, das der Mann nach Hause bringt, nicht ausreicht.

Bereits in der Schule wird kleinen Kindern eingebläut, Männer wären wertvoller als Frauen, weswegen diese immer bevorzugt behandelt werden - sei es bei Referaten, in der Schulkantine oder bei der Wahl zum Klassensprecher. Heftig fand ich auch, dass viele Frauen weibliche Föten abtreiben lassen müssen, weil die Gesellschaft sie dazu zwingt.

Kritisiert werden außerdem das Tabuisieren der Menstruation, die Gender Pay Gap, sexuelle Belästigung und die Schuldzuweisung in Richtung der Opfer und die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt durch fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Für all die angesprochenen Probleme, muss man gar nicht das Land verlassen. Jede*r sollte dieses Buch lesen. Es muss sich ganz grundlegend etwas im Denken verändern.
Generation Beziehungsunfähig. Die Lösungen by Michael Nast

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2.0

Bei Generation beziehungsunfähig - Die Lösungen von Michael Nast handelt es sich weniger um ein Sachbuch als vielmehr um ein persönliches Erfahrungsbuch des Autors, der seine Erlebnisse auf eine ganze Generation zu projizieren versucht. Er möchte gesellschaftliche Vorkommnisse mit Beispielen aus seinem eigenen Erfahrungshorizont unterlegen. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige das ein oder andere Erlebnis so oder so ähnlich ebenfalls durchlebt haben und sich in manchen Schilderungen wiederfinden können.

Vermutlich nutzt Nast die zahlreichen Pauschalisierungen und Klischees um ein Wir-Gefühl entstehen zu lassen. Zwar reflektiert er sich stellenweise schon selbst, jedoch ist mir das Verhältnis nicht ausgewogen genug, weswegen mir der Erzähler im Laufe des Buches leider immer unsympathischer geworden ist. Vor allem dieses repetitive „ja das war jetzt ein extremes Beispiel“ - Wahnsinn wie viele Extrembeispiele ein Mensch so kennen lernen kann. Das hinterlässt so einen faden Beigeschmack: ja ich rechne hier jetzt einmal mit all meinen Frauengeschichten ab. Auch die gewählten Bilder und Vergleiche hinken manchmal ganz schön - ein altes Telefon ist wie eine Geschlechtsumwandlung? Jemand der zum Therapeuten geht ist nicht dateable? Ein menstruierender Hund als Trennungsgrund?

Seinen Schreibstil hingegen finde ich sehr erfrischend und stellenweise schon echt lustig.

Leider hat Corona dem Buch in Sachen Aktualität einen ordentlichen Strich durch die Rechnung gemacht: sämtliche Kapitel über Kritik an der Kommunikation über die Distanz mittels Technologien greifen nicht mehr, weil es zur Zeit ja gar nicht anders geht. Also so gerne Michael Nast den Zeitgeist vielleicht getroffen hätte, ist er mit dem Buch ziemlich genau ein Jahr zu spät dran.
Während wir feiern by Ulrike Ulrich

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2.0

Ich kann mich nicht erinnern, dass mich jemals ein Buch so sehr gestresst hat wie Während wir feiern von Ulrike Ulrich.

Die 45-jährige Alexa feiert jedes Jahr am schweizerischen Nationalfeiertag eine Party - das kommt mir allerdings bei ihrer furchtbaren Organisation nicht so vor, als hätte sie das überhaupt schon einmal gemacht.

Sie lebt in einer Beziehung mit dem Arzt Adrian, der scheinbar ständig private Telefonate innerhalb seiner Arbeitszeit führen kann und der erst spät von seinem Sohn Robert erfahren hat; ihr bester Freund Zoltan ist ebenfalls eingeladen - er arbeitet mit Menschen zusammen, die Asyl in der Schweiz beantragt haben: so auch mit Kamal aus Tunesien, der aufgrund seiner Homosexualität verfolgt wird und für den er heimlich selbst Gefühle hegt. Dieser Handlungsstrang ist tatsächlich auch der einzige, der mich wirklich fesselte und hat weiterlesen lassen.

Der Rest sind einfach nur im Vergleich dazu unnötige First World Problems, denke auch, das war die Intention der Autorin, die Welten einander gegenüber zu stellen.

Womit ich bis zuletzt zu kämpfen hatte war der elliptische Schreibstil. Außerdem gab es trotz der häufigen Perspektivwechsel keine merklichen sprachlichen Unterschiede - außer das nervige Denglisch von Alexas (Ex-)Affäre Brad und der klägliche Versuch der Jugendsprache bei Robert, Vlora und Co. Schweizerdeutsch nutzt scheinbar häufig unterschiedliche Artikel als Deutschdeutsch (Tram, SMS, Verdienst) und wegen + Genitiv gibts anscheinend auch nicht. Und dieses Guggisberglied muss ja wirklich DER Hit sein, so viel Aufmerksamkeit wie es bekommen hat.

Schade! Der Roman hatte so viel Potential, die Grundideen find ich nämlich super - Asylpolitik, Rassismus, Beziehung Ü40, wie verändern sich Freundschaften durch Kinder, was tun wenn man plötzlich Gefühle für das gleiche Geschlecht entwickelt, Konflikte Eltern - Teenager, Gebrechlichkeit der eigenen Eltern etc., aber die Umsetzung und die sprachliche Realisierung waren absolut nicht meins.
Der Richter und sein Henker by Friedrich Dürrenmatt

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4.0

Der Richter und sein Henker von Friedrich Dürrenmatt erzählt von einem Tötungsdelikt aus dem Berner Umland verübt am Polizeileutnant Ulrich Schmied im November 1948. Ermittelnde Beamten sind zum einen Kommissar Bärlach zum anderen der Polizist Tschanz. Während Tschanz die Ermittlungen so aufnimmt, wie man es von einem guten Polizisten erwarten würde - Befragungen von Zeug*innen, Verdächtigen, Besichtigung des Tatorts etc. lässt Kommissar Bärlach verlautbaren, er habe einen Verdacht, wolle diesen jedoch nicht äußern. So kann man es sich natürlich sehr einfach machen und am Ende einfach behaupten, man hätte es ja gleich gewusst.

Die durchaus lustige Kriminalgeschichte entwickelt sich jedoch in eine andere Richtung: relativ schnell gerät ein gewisser Herr Gastmann ins Visier der Ermittlungen und Geschehnisse von vor 40 Jahren erblicken für die Leser*innen das Tageslicht. Zur Zeit des Erscheinens mag dies überraschend gewesen sein, als erfahrene Krimiverschlingerin habe ich aber sehr schnell durchblickt, wohin die Reise gehen wird.

Themen wie Korruption und Beziehungen sind ebenso Gegenstand des Romans wie unterschiedliche, politische Gesinnungen und die Frage von Gut und Böse. Was mir ganz und gar nicht gefallen hat, war einerseits die Verwendung der Bezeichnung „N-häuptling“ - das kann man aus heutiger Sicht einfach nicht unkommentiert hinnehmen, andererseits ist es außerdem doch recht unwahrscheinlich, dass ein Arzt einen Tod auf den Tag genau vorhersagen kann: morgen nicht, übermorgen auch noch nicht aber am Tag danach ist’s rum - aaaaahja :D

An den Schreibstil muss man sich erst einmal gewöhnen, aber man findet dann doch schnell Zugang. Dürrenmatt ist auf jeden Fall ein für die Schullektüre dankbarerer Schriftsteller als Kleist oder Kafka ;)
Der Tag der Eule by Leonardo Sciascia

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4.0

Der Tage der Eule von Leonardo Sciascia erzählt die Geschichte eines Verbrechens, das vor aller Augen passierte und von dem zunächst dennoch niemand etwas mitbekommen zu haben behauptet. Ort des Geschehens - Sizilien, Motiv - unbekannt, Verdächtig - Mafia?

Daran glaubt zumindest der ermittelnde Hauptmann Bellodi, ursprünglich aus Norditalien stammend, felsenfest. Durch Geschick und raffinierte Arbeit gelingt es ihm, rasch die richtigen Puzzleteile zusammenzufügen und die Verantwortlichen dingfest zu machen. Allerdings wäre es kein authentischer Roman, wenn es dabei bliebe, denn letztenendes hat die Mafia - in Anlehnung an die Realität - ihre Finger überall.

Sehr interessant war für mich die Tatsache, dass so genannte „Verbrechen aus Leidenschaft“ weniger hart bestraft wurden und dass dieser Deckmantel sowohl der Politik als auch der Mafia in die Karten spielt - das ist schändlicherweise heute ja immer noch so, dass Gewaltverbrechen innerhalb einer (Ex-)Beziehung vor Gericht weniger schlimm als „richtige“ Morde angesehen werden.

Spannend finde ich auch die dialektalen Unterschiede von Nord- und Süditalien, und dass es scheinbar teilweise so ist, dass man sich ohne Dolmetscher gar nicht verständigen kann (ich kann leider gar kein Italienisch).

Was mich ein wenig stutzig gemacht hat:
warum gibt man der Polizei/den Carabinieri überhaupt Auskunft, wenn man doch weiß, dass das das Todesurteil sein kann..? Sehr gut gefallen hat mir allerdings, dass Geistliche eben nicht zwangsweise bessere Menschen sein müssen, auch wenn sie sich zuweilen gerne dafür halten.
Elbleuchten by Miriam Georg

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5.0

Elbleuchten von Miriam Georg ist der Auftakt der hanseatischen Familiensaga rund um Lily Karsten, die als Tochter einer der erfolgreichsten Reedereiunternehmen Hamburgs im 19. Jahrhundert in einer Villa an der Bellevue lebt und ein wie man meinen könnte recht angenehmes Leben führt. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist das Lesen, außerdem besucht sie ein Lehrerinnenseminar, obwohl sie nie als Lehrerin arbeiten wird, denn sie ist mit dem angehenden Arzt Henry verlobt.

Vielleicht wäre ihr Leben in diesen geregelten Bahnen weiter verlaufen, hätte sie eines heißen Sommertages im Jahr 1886 nicht die Bekanntschaft des Hafenarbeiters Jo Bolten gemacht.

Elbleuchten ist ein wunderschön geschriebener, einfühlsamer und authentischer historischer Roman, der die Sonnen- vor allem aber auch die Schattenseiten der damaligen Zeit glaubwürdig und ungeschönt offenlegt. Thematisiert werden vor allem die Ständeunterschiede von arm und reich, Herren- und Dienerschaft, aber auch die Stellung der Frau und die aufkommende Emanzipationsbewegung sind zentraler Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Besonders fand ich außerdem die Einarbeitung der Aspekte Homosexualität und angeborene Erbkrankheiten.

Lily und Jo, aber auch Emma, Charlie, Michel, Sylta, Seda, Hertha und alle anderen sind mir so sehr ans Herz gewachsen - insgesamt sind alle Personen und deren Beziehungen zueinander sehr gut ausgearbeitet und glaubhaft gezeichnet, dass ich den zweiten Band Elbstürme, der am 21.04. erscheinen wird, kaum erwarten kann - ich könnte mir sehr gut eine Wandlung bei Franz vorstellen, und auch Henrys Charakter hat sich ja an einer Stelle schon in eine etwas andere Richtung angedeutet, als wir ihn bislang kennenlernen durften. Auf jeden Fall absolute Leseempfehlung, wenn man gerne in schöne aber auch turbulente Liebesgeschichten, die nicht kitschig sind, eingebettet in historisch an die Realität angelehnte Begebenheiten, abtaucht.
Die Sommer by Ronya Othmann

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5.0

Ein perfektes Beispiel dafür, dass der Pass eines Menschen in der heutigen Zeit seinen Wert bestimmt, ist Die Sommer von Ronya Othmann. Es war schockierend zu lesen, dass es Menschen gibt, so genannte adschnabi, denen von Geburt an das Recht auf einen Pass und somit auf eine Staatszugehörigkeit verwehrt wird. Leylas Vater wurde zwar in Syrien geboren, in seiner Geburtsurkunde steht jedoch, er sei ein Staatenloser, denn er ist êzîdischer Kurde, und Kurdistan ist kein anerkannter Staat.

Er darf nicht studieren, er kann ohne Pass aber auch nicht legal das Land verlassen, und wenn Menschen es doch irgendwie schaffen, bekommen sie kein Asyl, entweder, weil sie sich nicht ausweisen können oder, weil es nicht anerkannt wird, dass sie in ihrem Herkunftsland diskriminiert und verfolgt werden.

Die Sommer ist die Geschichte eines Mädchens, Leyla, die zwischen zwei Welten aufwächst. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater êzîdischer Kurde. Das ganze Jahr über lebt sie in Bayern, jeden Sommer fährt sie jedoch zu ihrer Familie nach Kurdistan. Aber sagen darf sie das am Flughafen nicht, nur, dass sie ihre Großeltern besucht. In der Schule erzählen alle Kinder von ihren Ferien, als Leyla von ihren Sommern erzählt, sagen die türkischen Kinder, Kurdistan gibt es nicht.

Besonders bewegend wird die Geschichte, als 2011 in Syrien Krieg ausbricht und der Vater nur noch die Geschehnisse auf dem TV-Bildschirm verfolgt, während die Mutter verzweifelt versucht, die Verwandten nach Deutschland zu holen.

Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sich diese Ohnmacht anfühlen muss, die geliebte Großmutter, die Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen, Brüder und Schwestern in Gefahr zu wissen und nichts, absolut nichts tun zu können. Oder wie es sich anfühlen muss, alles was man kennt einfach von heute auf morgen für immer hinter sich zu lassen und mit nichts als was man am Leibe trägt ein neues Leben in der Fremde ganz von vorne zu beginnen, und zu allem Überdruss dann nicht gastfreundlich oder wenigstens unvoreingenommen empfangen zu werden, sondern angefeindet, ja sogar bedroht oder angegriffen zu werden.

Die Sommer hat mir auf jeden Fall ein Stück weit mehr die Augen geöffnet und dazu angeregt, sich wesentlich mehr mit diesem Thema zu beschäftigen. Vielen, vielen Dank für diese wirklich sehr wichtige und bereichernde Geschichte!
Was wir scheinen by Hildegard E. Keller

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3.0

Was wir scheinen von Hildegard E. Keller ist ein biographisch angehauchter fiktiver Roman über das Leben Hannah Arendts, geschildert aus ihrer eigenen Perspektive, erzählt zu unterschiedlichen Zeitabschnitten. Dabei wechselt die Perspektive stets vom Sommer 1975 in Tegna in der Schweiz in eine vorangegangene Episode ihres Lebens - beginnend in den 40er Jahren zur Zeit des Zweiten Weltkriegs über die Nachkriegsjahre und den Eichmannprozess bis hin zum Ende der 60er Jahre. Schauplätze sind neben Manhattan auch Deutschland, Italien und Jerusalem.

Wir lernen Arendt in Gedanken, im direkten Dialog und im Briefwechsel kennen, zum einen als Professorin, zum anderen als Journalistin und Schriftstellerin, aber auch als Menschen. Sie ist eine große Kant- und Brecht-Verehrerin, insgeheim aber auch ein inniger Maigret-Fan, außerdem bewegt sie sich gerne in Kreisen Intellektueller wie beispielsweise Ingeborg Bachmann, Gerhard Scholem, Kurt Blumenfeld, Uwe Johnson, Martin Heidegger, Karl Jaspers oder zu Lebzeiten Walter Benjamin. Einen wichtigen Raum nimmt auch ihr Zigarettenkonsum, das so genannte Rahel-Buch und der bereits erwähnte Eichmannprozess ein.

Der Roman ist definitiv kein Easyread und für jemanden, der sich bislang noch überhaupt nicht mit der Thematik auseinandergesetzt hat, ist es erstmal ein wenig anstrengend, in die Geschichte reinzufinden. Was ich sehr interessant fand, waren die Szenen in denen Arendt sich mit ihren Student*innen austauscht und ich habe auf jeden Fall die Message für mich mitgenommen, dass es immer sehr wichtig ist, selbst zu denken.

Sehr große Kritik richte ich an den Verlag für die unkommentierte Verwendung des ausgeschriebenen Z-Worts und N-Worts, egal ob Fiktion oder Zitate - das ist im Jahr 2021 auf keiner Fall mehr so hinzunehmen und verurteile ich auf’s Schärfste. Außerdem möchte ich mich von Arendts Geschlechtervorstellungen distanzieren und ich möchte auch betonen, dass ich nicht der Meinung bin, ein Mensch, der studiert hat, wäre für die Gesellschaft wertvoller als jemand, der keine akademische Laufbahn eingeschlagen hat.
Die Wunderfrauen: Alles, was das Herz begehrt by Stephanie Schuster

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1.0

Triggerwarnung: Die Wunderfrauen Band 1 reproduziert unkommentiert rassistische Sprache, die sich vor allem gegen BIPOC aber auch gegen Sinti und Roma richtet.



Triggerwarnung: Die Wunderfrauen Band 1 reproduziert unkommentiert sexistische und misogyne Sprache, außerdem werden zwei Vergewaltigungsszenen geschildert und es findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt.



Triggerwarnung: Die Wunderfrauen Band 1 verharmlost den Holocaust.



Triggerwarnung: Die Wunderfrauen Band 1 enthält behindertenfeindliche Äußerungen und bedient sich unkommentiert nationalsozialistischen Vokabulars.



Triggerwarnung: Die Wunderfrauen Band 1 beinhaltet Homophobie.



Die Wunderfrauen - Alles, was das Herz begehrt von Stephanie Schuster erschienen im August 2020 im Fischerverlag ist ein historischer Roman, der in den Jahren 1953 und 1954 in Starnberg bei München spielt. Erzählt werden die Schicksale von vier so genannten Wunderfrauen: Luise Dahlmann, Inhaberin eines Lebensmittelgeschäfts, Helga Knaup, Tochter aus reichem Hause, die ihren Weg alleine als Krankenschwester bestreiten möchte, Annabel von Thaler, die adelige Arztgattin der Klinik, in der Helga arbeitet und schließlich Marie Wagner, die aus ihrer Heimat Schlesien vertrieben wurde.



Mir ist es aufgrund der bereits angesprochenen triggernden Thematiken nur schwer gelungen, mich auf die Geschichte an sich einzulassen. Dabei hätte der Roman wirklich Potential gehabt. Die Beschreibungen der technischen Errungenschaften zu dieser Zeit, wie beispielsweise Telefon und Fernsehen, die Parallelen zur WM 1954 oder die Einblicke in das Gefühlsleben von Kriegsheimkehrern - all das wurde durch die unkommentierte und mehrfache Verwendung des N-Worts und des Z-Worts und durch Vergleiche mit braunen Lebensmitteln, sowie durch die feindlichen Aussagen gegenüber Behinderten, Homosexuellen und Frauen zunichte gemacht.



Am allerschlimmsten fand ich, dass der Roman versucht hat, die Schuld der Deutschen zu relativieren auf Kosten einer Verharmlosung des Holocausts. Ja, es mag sein, dass der ein oder andere nicht freiwillig gehandelt hat oder keine andere Wahl gesehen hat, und auch, dass die deutsche Bevölkerung unter den Besatzungsmächten gelitten hat, sowie die Schlesier durch die Vertreibung - aber warum muss man das in Bezug zum Völkermord an den Juden setzen?



Authentizität ist keine Rechtfertigung für Rassismus, Antisemitismus, Misogynie, Ableismus und Homophobie, auch wenn es sich um einen historischen Roman handelt, sollte im Jahr 2020 bzw. 2021 ein Verlag so viel Verantwortungsbewusstsein besitzen, diese Inhalte nicht in so einer Form einfach wiederzugeben ohne diese kritisch einzuordnen.